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Das OLG Schleswig (1. Zivilsenat), Urteil vom 07.08.2020 – 1 U 119/19 hat in einem wegweisenden Urteil auch die 4,0 bzw. 4,2 Liter Motoren des Volkswagen Konzerns, die insbesondere auch in Porsche Cayenne S Diesel, Porsche Macan und Porsche Panamera verbaut sind, als manipuliert angesehen, und daher zum Schadensersatz verurteilt.
Das gesamte Urteil finden Sie nachstehend.
OLG Schleswig (1. Zivilsenat), Urteil vom 07.08.2020 – 1 U 119/19
vorgehend:
LG Flensburg, Urteil vom 10.10.2019 – 4 O 25/19
1 U 119/19
Im Namen des Volkes
Urteil
Verkündet am 07.08.2020
4 O 25/19 LG Flensburg
In dem Rechtsstreit
…
hat der 1. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 10.07.2020
für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 10.10.2019 verkündete Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des Landgerichts Flensburg teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 82.580,12 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.05.2019 Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs Porsche, Typ Cayenne S Diesel mit der FIN: WP1ZZZ92ZFLA65… zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.217,45 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.05.2019 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen tragen der Kläger 28% und die Beklagte 72%.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Parteien bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des aufgrund des Urteils für die andere Partei vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
I.
1Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz, weil die Motorsteuerung seines PKW manipulierend auf den Stickoxidausstoß einwirkt.
2Der Kläger kaufte mit Auftragsbestätigung vom 13.06.2016 von der Porsche Niederlassung H. GmbH einen gebrauchten Porsche Cayenne S Diesel zu einem Preis von 115.800,00 € (Anlage K 1, Bl. 15 d. A.). Das Fahrzeug war am 10.10.2014 erstmals zugelassen worden und wies zum Zeitpunkt des Kaufes durch den Kläger einen Kilometerstand von 4.695 km auf.
3Der PKW ist mit einem von der Beklagten entwickelten und hergestellten Motor V 8-Zylinder Diesel 4,2 TDI ausgerüstet.
4Der Kläger verlangte mit Schreiben vom 30.10.2018 (Anlage K 3, Bl. 18 – 21 d. A.) den Ersatz des Kaufpreises unter Rückgabe des Fahrzeugs.
5Der Kläger hat behauptet, er habe ein umweltfreundliches, wertstabiles Fahrzeug mit geringem Kraftstoffverbrauch erwerben wollen.
6Der Stickoxidausstoß des Fahrzeugs liege über den gesetzlichen Vorgaben. Der Motor verfüge über eine Prüfstandserkennung. Auf dem Prüfstand werde er in einem Modus 1 mit erhöhter Abgasrückführung und dadurch verminderter Stickoxidemission betrieben, sonst in einem Modus 0 mit geringerer Abgasrückführung und erhöhtem Stickoxidausstoß.
7Der Vorstand der Beklagten habe von der Manipulation der Motorsteuerung gewusst, v. a. der Vorsitzende Herr S. Die Topmanager Herr H. und Herr K., der Leiter der Audi-Motorenentwicklung Herr W. und die Führungskraft Herr P. hätten ebenfalls Kenntnis gehabt.
8Die zu erwartende Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs betrage 500.000 km.
9Der Kläger hat die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 101.350,28,00 € Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung des PKW, die Feststellung des Annahmeverzuges und den Ersatz von vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 2.480,44 €. Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt.
10Die Beklagte hat behauptet, die Gesamtlaufleistung betrage 200.000 bis 250.000 km.
11Das Landgericht, auf dessen Urteil wegen der näheren Einzelheiten gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat die Beklagte unter Klagabweisung im Übrigen verurteilt, an den Kläger 84.708,43 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung des Kraftfahrzeugs und weitere 2.217,45 € nebst Zinsen zu zahlen und festgestellt, dass sie sich im Annahmeverzug befindet. Es hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dem Kläger stehe ein Anspruch aus § 826 BGB zu.
12Das Verhalten der Beklagten sei sittenwidrig gewesen. Die Programmierung der Motorsteuerung sei als unzulässige Abschalteinrichtung gesetzwidrig gewesen. Die Beklagte sei dem Vortrag des Klägers zu einer Prüfstandserkennung mit verschiedenen Modi des Motorbetriebs nicht konkret entgegengetreten. Sie habe die Motorsteuerung nicht anders dargestellt und durch ihren Vortrag zu einer Anordnung des Kraftfahrtbundesamts, die Software zu aktualisieren, den Vortrag des Klägers indirekt bestätigt. Bei Kenntnis der Manipulation wäre keine Zulassung erfolgt. Das Verhalten der Beklagten sei als bewusste Täuschung zur Herbeiführung eines Vertragsschlusses verwerflich. Die Beklagte habe stillschweigend erklärt, dass der Motor den Vorschriften genüge. Sie habe die Behörden irregeführt, um eine Typengenehmigung zu erhalten. Zweck sei eine Kostensenkung ggü. anderen Möglichkeiten der Abgasreinigung und die Erlangung eines Kostenvorteils gewesen. Die Beklagte habe ein System planmäßiger Verschleierung etabliert.
13Die Beklagte habe einen Schaden des Klägers in Form des Kaufvertrages verursacht. Nach der Lebenserfahrung gehe der Käufer eines Kraftfahrzeugs davon aus, dass es den gesetzlichen Vorschriften genüge. Bei Kenntnis der Manipulation sei der Vertrag nicht geschlossen worden. Der Schaden liege innerhalb des Schutzzwecks der Norm, denn er folge aus der Täuschung, nicht aus dem Verstoß gegen die Verordnung. Es bestehe die Gefahr der Stilllegung des Fahrzeugs. Die Beklagte habe den Schaden durch das Inverkehrbringen des Motors verursacht, weil darin die Täuschung über ein ordnungsgemäßes Vorgehen liege.
14Der Vorsatz der Beklagten gelte nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden. Zwar habe der Kläger nicht substantiiert zu einer Täuschungshandlung der verfassungsmäßigen Vertreter der Beklagten vorgetragen, sondern nur, dass der Vorstand oder Repräsentanten wegen der Bedeutung Kenntnis von der Manipulation gehabt haben müssten. Die Beklagte sei aber ihrer sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen. Der Kläger habe keinen Einblick in die Entscheidungsvorgänge, die Beklagte habe dagegen Kenntnis davon. Weiterer Vortrag sei ihr zumutbar. Sie habe aber nur vorgetragen, dass sie keine Erkenntnisse zu dieser Frage habe. Jedenfalls folge eine Haftung der Beklagten aus § 831 BGB.
15Der Kläger sei zu stellen, wie er ohne Abschluss des Vertrages stünde. Ihm sei der Kaufpreis Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs zurückzuzahlen. Im Wege der Vorteilsausgleichung sei der Wert der Nutzungen anzurechnen. Dieser sei anhand einer Gesamtlaufleistung von 300.000 km zu ermitteln.
16Der Kläger könne Zinsen nach § 849 BGB verlangen, da er durch die sittenwidrige Schädigung zur Zahlung des Kaufpreises veranlasst worden sei.
17Gegen dieses Urteil richtet sich die frist- und formgerecht eingelegte und begründete Berufung des Klägers. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, die Nutzungsentschädigung sei vom Landgericht zu hoch angenommen worden. Die angenommene Gesamtlaufleistung von 300.000 km sei zu niedrig. Eine Annahme unter 500.000 km sei unrealistisch.
18Ohnehin stehe dem Abzug des Werts der Nutzung der EUrechtliche Effektivitätsgrundsatz entgegen. Die Mitgliedsstaaten hätten Sanktionen für Verstöße gegen das Typengenehmigungsrecht festzulegen. Das sei zwar erfolgt, es werde aber ergänzt durch die individuelle Rechtsdurchsetzung. Durch den Nutzungsersatz werde der Schaden aufgezehrt, sodass Verstöße folgenlos blieben. So sei es im Kaufrecht geregelt. Die Beklagte werde durch den Abzug unbillig entlastet. Die Nutzung des Fahrzeugs sei für den Kläger unzumutbar, da sie wegen des Erlöschens der Typengenehmigung rechtswidrig sei. Jedenfalls sei die Nutzungsentschädigung aus dem geminderten Wert des Fahrzeugs zu errechnen.
19Für die Rechtsanwaltsgebühren sei der Nutzungsersatz als Nebenforderung unerheblich. Die geltend gemachten Kosten seien daher nicht zu kürzen.
20Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des am 10.10.2019 verkündeten Urteils des Landgerichts Flensburg, AZ.: 4 O 25/19, die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 16.641,85 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.12.2018 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Porsche, Typ Cayenne S Diesel mit der FIN: WP1ZZZ92ZFLA65…, zu zahlen;
an ihn weitere 262,99 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
21Die Beklagte beantragt die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
22Die Beklagte verteidigt das Urteil, soweit es ihr günstig ist.
23Die Beklagte wendet sich ihrerseits mit ihrer frist- und formgerecht eingelegten und begründeten Berufung gegen das Urteil. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, Abschalteinrichtungen seien differenziert zu betrachten.
24Das Landgericht habe rechtsfehlerhaft das Inverkehrbringen des Motors als Täuschungshandlung gewertet. Die Annahme einer unzulässigen Abschalteinrichtung beruhe auf einer fehlerhaften Anwendung des Typengenehmigungsrechts. Es werde der Vortrag übergangen, dass die Beklagte das streitgegenständlichen Fahrzeug nicht hergestellt oder verkauft habe.
25Eine Sittenwidrigkeit sei zu verneinen, weil es keine negativen Folgen aus dem Kauf gebe. Das Kraftfahrtbundesamt erlasse eine Nebenbestimmung. Die Pflicht zur Nachbesserung treffe die Herstellerin des Fahrzeugs. Sie, die Beklagte, habe keine falschen Tatsachen vorgespiegelt, weil sie keine Aussagen zu dem Fahrzeug getroffen habe. In der Lieferung einer Sache liege keine Aussage, dass kein Mangel vorliege. Es liege keine Sittenwidrigkeit aufgrund des Anstrebens eines Wettbewerbsvorteils vor. Die Gefahr der Stilllegung drohe nicht, weil es keine sicherheitsrelevanten Folgen gebe. Eine Gewinnerzielungsabsicht sei nicht sittenwidrig. Es fehle der Schutzrechtszusammenhang, weil eine öffentlich-rechtliche Norm verletzt sei. Die Annahme deliktischer Ansprüche widerspreche dem Gewährleistungsrecht und der Relativität der Schuldverhältnisse. Die Haftung von Herstellern sei durch das Produkthaftungsgesetz beschränkt. Die Annahme einer Verschleierung der Abschalteinrichtung schließe die Annahme eines Schädigungsvorsatzes aus, weil die Abschalteinrichtung dann nie hätte bekannt werden sollen.
26Das Landgericht habe rechtsfehlerhaft eine Kausalität bejaht. Der Kläger sei insoweit beweisfällig geblieben. Die vom Landgericht angenommene Lebenserfahrung gelte nicht. Noch lange nach Bekanntwerden der Abschalteinrichtung in dem Motor EA 189 seien Fahrzeuge mit diesem Motor gekauft worden. Es fehle auch Vortrag des Klägers zur Kausalität. Beim Kauf eines Fahrzeugs gebe es ein Motivbündel. Der Kläger nutze das Fahrzeug bis heute.
27Das Landgericht habe rechtsfehlerhaft einen Vorsatz festgestellt. Dazu habe keine Partei vorgetragen. Sie treffe keine sekundäre Darlegungslast. Der Vortrag des Klägers sei unsubstantiiert. Die Verletzung der sekundären Darlegungslast führe nicht zu der Unterstellung eines Vorsatzes, weil sie keinen Schluss auf einen Rechtssatz erlaube. Das Landgericht habe nicht auf die Notwendigkeit weiteren Vortrags hingewiesen. Weiterer Vortrag sei unzumutbar, weil er zu negativen Tatsachen erfolgen müsste. Dem Kläger dürfe nicht die Beweislast abgenommen werden. Es bestehe die Gefahr einer Ausforschung.
28Das Landgericht habe rechtsfehlerhaft einen Schaden festgestellt. Der Vertrag sei für den Kläger nicht wirtschaftlich nachteilig, weil das Fahrzeug für ihn voll brauchbar sei. Der Vertrag sei nicht ungewollt. Die Gefahr einer Stilllegung des Fahrzeugs bestehe nicht. Jedenfalls liege darin nur eine Vermögensgefährdung.
29Der Nutzungsersatz sei nicht linear zu berechnen, weil der Wertverlust in der ersten Zeit höher sei. Jedenfalls sei eine Gesamtlaufleistung von nur 200.000 bis 250.000 km zugrunde zu legen.
30Zinsen nach § 849 BGB stünden dem Kläger nicht zu, weil er das Fahrzeug habe nutzen können.
31Die Beklagte beantragt,
das am 10. Oktober 2019 verkündete Urteil des Landgerichts Flensburg (Az. 4 O 25/19) im Umfang der Beschwer der Beklagten abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
32Der Kläger beantragt die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
33Der Kläger verteidigt das Urteil des Landgerichts, soweit es ihm günstig ist. Er trägt vor, nach den Feststellungen des Bundesministeriums für Verkehr weise die Motorsteuerung eine Lenkwinkelerkennung auf. Deswegen sei ein Rückruf angeordnet worden. Das Fahrzeug weise Abschalteinrichtungen auf, die nach Testerkennung aktiviert würden. Dazu gehörten eine bestimmte Aufwärmstrategie, ein überzogenes Thermofenster und die Einstellung der Getriebeschaltung.
34Das Kraftfahrtbundesamt hat einen Rückruf angeordnet, von dem das Fahrzeug des Klägers betroffen ist. Das angeordnete Update dient der Verbesserung des Stickoxidausstoßes. Mit Schreiben vom 01.04.2020 (Bl. 487 – 488 d. A.) hat die P. AG dem Kläger das Aufspielen eines Updates angeboten.
35Die Beklagte ist aufgefordert worden, zu den Hintergründen des Rückrufes vorzutragen (Bl. 507, 535, 577 d. A.). Sie hat mitgeteilt, dass sie nicht Herstellerin des Fahrzeugs sei, deswegen nicht an dem Typengenehmigungsverfahren beteiligt gewesen sei und der Rückrufbescheid vom 20.08.2018 an die Herstellerin adressiert gewesen sei.
36Am Tag der mündlichen Verhandlung betrug der Kilometerstand des streitgegenständlichen Fahrzeugs 89.419 km.
37Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
38Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache nur teilweise Erfolg. Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.
391. Die Berufung der Beklagten hat nur bezüglich der Deliktszinsen und der Feststellung des Annahmeverzuges Erfolg.
40Die Beklagte ist, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, der Klägerin wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung aus §§ 826 BGB zum Schadensersatz verpflichtet. Jedenfalls der Sachverhalt, der der Berufungsentscheidung zu Grunde zu legen ist, führt zu einer Haftung der Beklagten.
41a) Der Kläger hat einen Schaden erlitten, indem er zur Eingehung einer nicht gewollten Verbindlichkeit veranlasst wurde. Das Fahrzeug war für seine Zwecke nicht voll brauchbar, weil die Stilllegung möglich gewesen wäre.
42aa) Auch bei der Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung liegt nach normativer Wertung ein Schaden vor, wenn die eingegangene Verbindlichkeit für den Käufer ungewollt ist, weil die gekaufte Sache für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist. Die Vorschrift des § 826 BGB schützt insoweit nicht allein das Vermögensinteresse des Geschädigten, sondern auch die Willensfreiheit (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 45 ff. bei juris).
43bb) Das Fahrzeug ist mit unerlaubten Abschalteinrichtungen ausgerüstet, von denen mindestens eine zum Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt geführt hat. Die Beklagte ist dem entsprechenden Vortrag des Klägers nicht ausreichend entgegengetreten, sodass dieser Vortrag nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden gilt.
44(1) Eine Abschalteinrichtung ist nach Art. 3 Nr. 10 VO 715/2007/EG ein Konstruktionsteil, das bestimmte Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird. Nach Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig, wenn nicht bestimmte Ausnahmen vorliegen.
45Bei der gebotenen weiten Auslegung ist eine Motorsteuerung, die erkennt, dass das Fahrzeug auf dem Prüfstand betrieben wird, und unter diesen Bedingungen für eine erhöhte Abgasrückführung sorgt, die es erst ermöglicht, dass die Grenzwerte für den Ausstoß von Stickoxid eingehalten werden, eine Abschalteinrichtung. Denn die Behandlung des Abgases ist der Emissionskontrolle zuzurechnen, da die Rate der Abgasrückführung über den Ausstoß von Stickoxid entscheidet. Die Motorsteuerung ermittelt bestimmte Parameter, die den Betrieb des Fahrzeugs auf einem Prüfstand anzeigen, und aktiviert nur unter diesen Bedingungen die erhöhte Abgasrückführung (BGH, Beschluss vom 08.01.2019, VII ZR 225/17, Rn. 12; OLG Koblenz NJW 2019, 2237, 2238, Rn. 24).
46Der Kläger hat zu solchen Abschalteinrichtungen vorgetragen. Bereits in der ersten Instanz hat er eine Prüfstandserkennung behauptet, die zu verschiedenen Betriebsmodi führe. Er hat in der zweiten Instanz ergänzt, die Motorsteuerung erkenne den Lenkwinkel und damit den Prüfstandbetrieb. Auch die Aufwärmstrategie diene der Prüfstanderkennung und führe zum Umschalten in einen Fahrmodus mit weniger Schadstoffausstoß. Die Prüfstanderkennung sorge zudem für andere Schaltpunkte und so zu einem niedrigeren Stickoxidausstoß. Schließlich sei das Thermofenster über den Bereich des Motorschutzes hinaus ausgelegt und sei als Abschalteinrichtung zu werten.
47Bezüglich des Thermofensters ist zu ergänzen, dass es so eingestellt werden könnte, dass die Abgasrückführung bei den Temperaturen, die auf einem Prüfstand herrschen, optimal funktioniert, bei einem Unter- oder Überschreiten dieser Temperaturen aber nicht mehr. Der Motorschutz würde dagegen nur eine Einstellung erfordern, die bei Temperaturen wirkt, bei denen mit Ablagerungen von Abgasbestandteilen im Motorraum zu rechnen ist.
48Für das Fahrzeug des Klägers ist vom Kraftfahrtbundesamt ein Rückruf angeordnet worden. Durch eine Änderung der Motorsteuerung soll der Stickoxidausstoß optimiert werden. Das Kraftfahrtbundesamt stuft also jedenfalls ein Merkmal der Motorsteuerung, durch das Einfluss auf den Stickoxidausstoß genommen wird, als unzulässig ein.
(2) Die Beklagte ist dem Vortrag des Klägers nicht ausreichend entgegengetreten. Ihr ist mit der Verfügung vom 15.04.2020 (Bl. 507 d. A.) Gelegenheit gegeben worden, zu dem neuen Vortrag des Klägers in der Berufungserwiderung, der u. a. den Vortrag zu den Abschalteinrichtungen umfasste, Stellung zu nehmen. Sie hat bzgl. des Thermofensters nur allgemein auf die Notwendigkeit zum Motorschutz verwiesen, ohne auf die Behauptung der überzogenen Auslegung einzugehen. Bzgl. der Aufwärmstrategie des Getriebes hat sie nur die Auffassung vertreten, der Vortrag des Klägers sei unsubstantiiert und präkludiert. Auch in der zweiten Instanz neue Angriffsmittel sind aber zu berücksichtigen, wenn sie nicht bestritten werden. Zudem ist fraglich, ob der Kläger persönlich bereits in er ersten Instanz Einzelheiten der Motorsteuerung hätte kennen müssen, sodass es nicht als nachlässig anzusehen ist, dass er den Vortrag in der Berufungsinstanz ergänzt.
49Die Beklagte ist außerdem unter Hinweis auf ihre sekundäre Darlegungslast durch Verfügungen vom 15.04.2020, 11.05.2020 und 20.05.2020 aufgefordert worden, zu den Hintergründen des Rückrufes vorzutragen (Bl. 507, 535, 577 d. A.). Ihr Hinweis darauf, sie sei nicht Herstellerin des Fahrzeugs, ist unzureichend. Denn die Beklagte hat den Motor entwickelt und hergestellt. Der Senat sieht es als ausgeschlossen an, dass die Herstellerin des Fahrzeugs, die zudem in Schwesterunternehmen im VW-Konzern ist, die Beklagte als Herstellerin des beanstandeten Motors nicht kontaktiert hat. Die Beklagte hat außerdem eigene Fahrzeuge mit dem Motor ausgestattet, die ebenfalls von dem Rückruf betroffen sein müssen. Ihr müssen die Hintergründe des Rückrufs deswegen bekannt sein.
50Die Beklagte trifft eine sekundäre Darlegungslast bzgl. der vom Kläger behaupteten Abschalteinrichtungen und der Hintergründe des Rückrufs. Der Gegner der darlegungsbelasteten Partei kann sich nicht auf einfaches Bestreiten beschränken, wenn der darlegungsbelasteten Partei der Beweis nicht möglich oder nicht zumutbar ist und sie außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen hat, während die Gegenpartei diese Kenntnis hat und ihr nähere Angaben zumutbar sind (BGH NJW 1983, 687, 688; BGH, NJW 1987, 2008, 2009; BGH NJW 1999, 579, 580; BGHZ 163, 209, 214). Von der Gegenpartei wird dann im Rahmen des Zumutbaren ein substantiiertes Bestreiten der behaupteten Tatsachen unter Darlegung der für das Gegenteil sprechenden Tatsachen und Umstände verlangt (BGH NJW 2008, 982, 984, Rn. 16).
51Der Kläger hat keinen Einblick in die Funktion der Motorsteuerung und keine Erkenntnisse über die Hintergründe des Rückrufs. Die Beklagte hat dagegen als Herstellerin des Motors Kenntnis von diesen Tatsachen. Es ist ihr zuzumuten, zu diesen Tatsachen weiter vorzutragen. Das gilt jedenfalls für die Hintergründe des Rückrufs und allgemeinen Umständen der Motorsteuerung. Nur Einzelheiten der Motorsteuerung könnten Betriebsgeheimnisse berühren, wodurch ggf. weiterer Vortrag unzumutbar würde.
52(3) Die Abschalteinrichtungen sind unzulässig. Es ist nicht erkennbar, dass die Ausnahmeregelungen nach Art. 5 Abs. 2 S. 2 VO 715/2007/EG eingreifen, z. B. weil die Abschalteinrichtung zum Motorschutz erforderlich wäre. Das gilt auch für das Thermofenster, das nach dem Vortrag des Klägers über das Erforderliche hinausgeht.
53cc) Wegen der unzulässigen Abschalteinrichtungen drohte die Stilllegung des Fahrzeuges.
54Die Typengenehmigung ist offensichtlich unter Verheimlichung der Abschalteinrichtung erwirkt worden. Sonst wäre es nicht zu dem Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt gekommen. Die Typengenehmigung war rechtswidrig und hätte so widerrufen werden können, jedenfalls nach § 25 Abs. 3 EG-FGV. Damit wäre auch die Grundlage für die Übereinstimmungsbescheinigung als Voraussetzung der Zulassung des Fahrzeugs des Klägers entfallen.
55Die zuständige Zulassungsbehörde hätte dem Kläger nach § 5 Abs. 1 FZV den Betrieb des Fahrzeugs untersagen können. Danach kann der Betrieb untersagt werden, wenn sich das Fahrzeug nach der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung als nicht vorschriftsmäßig erweist, oder dem Halter eine Frist zur Beseitigung von Mängeln setzen. Nicht vorschriftsmäßig ist auch ein Fahrzeug, dass über eine unzulässige Abschalteinrichtung verfügt, wenn der Halter der Aufforderung zur Beseitigung der Abschalteinrichtung mittels eines vom KBA zugelassenen Updates nicht nachkommt, da das Fahrzeug dann nicht mehr einem genehmigten Typ entspricht (BGH, Beschluss vom 08.01.2019, VII ZR 225/17, Rn. 18 f.).
56Ohne Bedeutung ist, dass die Abschalteinrichtung bisher nicht zu einer Stilllegung geführt hat. Denn zwar war die Manipulation der Motorsteuerung zunächst unbekannt, sie konnte aber jederzeit bekannt werden. Es stand nicht von Anfang an fest, dass das Kraftfahrtbundesamt dann von einem Widerruf der Typengenehmigung absehen werde oder die Fahrzeugherstellerin in der Lage sein werde, die Abschalteinrichtung durch eine Maßnahme zu entfernen, die vom KBA genehmigt werden konnte.
57dd) Der abgeschlossene Vertrag war für den Kläger ungewollt. In Kenntnis der Abschalteinrichtung und der ihretwegen drohenden Stilllegung des Fahrzeugs hätte er den Vertrag nicht abgeschlossen.
58Das ergibt sich aus der allgemeinen Lebenserfahrung. Danach wird ein Fahrzeug angeschafft, um es ständig zur Nutzung zur Verfügung zu haben. Dem stünde eine mögliche Betriebseinschränkung entgegen, sodass ein Käufer von dem Erwerb eines davon bedrohten Fahrzeugs absehen würde (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 51 bei juris).
59Dagegen spricht nicht, dass auch nach Bekanntwerden der Manipulation des Motors EA 189 weiter mit diesem Fahrzeug ausgerüstete Fahrzeuge verkauf worden sind. Denn es stand bald nach dem Bekanntwerden der Manipulation fest, dass die Typengenehmigung nicht widerrufen, sondern durch eine Nebenbestimmung ergänzt wurde, deswegen ein Rückruf angeordnet wurde und die V. AG in Abstimmung mit dem Kraftfahrbundesamt an einem Update arbeitete, mit dem die beanstandete Funktion aus der Motorsteuerung entfernt wurde. Soweit die Käufer also Kenntnis von der Manipulation hatten, kauften sie die Fahrzeuge in der Erwartung, es werde wegen des Updates nicht zu einer Stilllegung kommen.
60ee) Das angebotene Update ändert nichts an dem bereits durch den Abschluss des ungewollten Vertrages entstandenen Schaden. Der Vertrag verliert durch das Update nicht seinen Charakter als ungewollt. Der einmal entstandene Anspruch auf Befreiung von der ungewollten Verbindlichkeit erlischt durch spätere Entwicklungen nicht (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 58 bei juris).
61b) Der Schaden ist dem Kläger von der Beklagten zugefügt worden.
62Als schadenszufügende Handlung kommt bereits die unternehmerische Entscheidung in Betracht, einen für eine Vielzahl von Fahrzeugen vorgesehenen Motor mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung zu versehen in der Kenntnis, dass damit ausgerüstete Fahrzeuge sodann mit einer erschlichenen Typengenehmigung in Verkehr gebracht werden (OLG Karlsruhe, Urteil vom 18.07.2019, 17 U 160/18, Rn. 84 bei juris). Spätestes dadurch, dass die Beklagte den manipulierten Motor unter Verschweigen der Abschalteinrichtung in Verkehr gebracht hat, hat sie dem späteren Käufer Schaden zugefügt (OLG Koblenz NJW 2019, 2237 f., Rn. 16).
63Von der Entscheidung für die Manipulation und dem Inverkehrbringen des Motors führte nämlich eine direkte Geschehensabfolge zu dem Kauf durch den Kläger. Denn der Motor ist bestimmungsgemäß in ein Fahrzeug einer anderen konzernangehörigen Gesellschaft eingebaut worden. Bereits damit stand fest, dass spätere Erwerber des Fahrzeugs durch die drohende Stilllegung einen Vermögensnachteil erleiden würden.
64Ohne Bedeutung ist, ob die Herstellerin des Fahrzeugs Kenntnis von der Abschalteinrichtung hatte. Hatte sie Kenntnis, haben sie und die Beklagte bei der Erschleichung der Typengenehmigung und dem Inverkehrbringen der Fahrzeuge gemeinschaftlich gehandelt. Fehlte die Kenntnis der Fahrzeugherstellerin, hat sich die Beklagte ihrer als vorsatzloses Werkzeug bedient.
65c) Das Verhalten der Beklagten ist als sittenwidrig anzusehen.
66aa) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Es genügt regelmäßig nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 15 bei juris; BGH NJW 2017, 250, 251 f., Rn. 16).
67Die verletzte Verhaltenspflicht muss drittschützend und der Geschädigte in den Schutzbereich eingezogen sein (Wagner in: MK-BGB, 7. Aufl., § 826, Rn. 22). Es reicht nicht, wenn der Schädiger gegen öffentlich-rechtliche Normen verstößt, die der Umwelt, nicht aber den wirtschaftlichen Interessen des Geschädigten dienen (OLG Koblenz, Beschluss vom 21.10.2013, 5 U 507/13, Rn. 44 bei juris).
68bb) Unter Abwägung der Gesamtumstände ist das In-Verkehr-Bringen manipulierter Motoren als sittenwidrig anzusehen. Der Erwerber solcher Motoren – auch ein Zweiterwerber – wird dadurch geschädigt, dass er eine nicht gewollte Verbindlichkeit eingeht, weil dem Fahrzeug die Stilllegung droht. Dieser bewussten Schadenszufügung steht das einseitige Gewinnstreben des Veräußerers gegenüber. Wer manipulierte Motoren in Verkehr bringt, zeigt damit, dass er die einzuhaltenden Umweltvorschriften nicht oder nicht zu vertretbaren Kosten einhalten kann und dennoch seinen Marktanteil behalten oder gar ausweiten will. Dabei ist Gewinnstreben an sich noch nicht anstößig. Anstößig ist aber die vielfache Täuschung von Kunden über die ungestörte Nutzbarkeit des Produkts, um Marktanteile zu erhalten (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 23 bei juris; OLG Koblenz NJW 2019, 2237, 2239, Rn. 37; OLG Karlsruhe, Urteil vom 18.07.2019, 17 U 160/18, Rn. 88 ff. bei juris).
69Es ist ohne Bedeutung, dass die Norm, gegen die die Beklagte verstoßen hat, dem Schutz der Umwelt dient. Denn entscheidend für die Haftung ist die Einwirkung auf die Willensfreiheit der Käufer durch das Verschweigen der Abschalteinrichtung. Diese Einwirkung fällt in den Schutzbereich des § 826 BGB.
70d) Dass der Handelnde sich der Sittenwidrigkeit bewusst ist, ist nicht notwendig. Er muss jedoch die Umstände kennen, aus denen sich die Sittenwidrigkeit ergibt. Ist Schädigerin eine Gesellschaft, so muss dieses Wissen bei den Organen i. S. d. § 31 BGB vorhanden sein. Eine Wissenszurechnung und -zusammenrechnung wie im rechtsgeschäftlichen Verkehr findet nicht statt, weil es anders als für die Arglist um ein moralisches Unwerturteil geht (BGH NJW 2017, 250, 252 f., Rn. 23).
71aa) Organ einer Gesellschaft ist nach § 31 BGB nicht nur der Vorstand, sondern auch der verfassungsmäßig berufene Vertreter. Dieser Begriff ist weit zu verstehen. Es genügt, dass einer Person durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame wesensmäßige Funktionen der Gesellschaft zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind und sie die Gesellschaft insoweit repräsentiert, ohne dass die Tätigkeit in der Satzung vorgesehen oder die Person rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht haben muss (BGH, Urteil vom 30.10.1967, VII ZR 82/65, Rn. 10 f. bei juris). Der infrage kommende Personenkreis deckt sich in etwa mit dem der leitenden Angestellten i. S. d. Arbeitsrechts (Palandt/Ellenberger, BGB, 78. Auflage, § 31, Rn. 6).
72bb) Der Kläger behauptet, dass neben dem Vorstand und anderen führenden Mitarbeitern der Beklagten der Leiter der Motorenentwicklung von der Manipulation gewusst habe. Das hat die Beklagte nicht bestritten. Abteilungsleiter, gerade in der Motorenentwicklung, sind als verfassungsmäßige Vertreter anzusehen, weil sie für die Beklagte wesentliche Aufgaben wahrnehmen.
73Zudem sind nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast die behaupteten Tatsachen als zugestanden anzusehen. Der Kläger kann keine Kenntnis davon haben, wer an der Entwicklung des Motors beteiligt war und wer Kenntnis von der Manipulation gehabt hat. Der Beklagte ist es aber möglich und zumutbar, dazu vorzutragen.
74Die Beklagte müsste dazu vortragen, wie der Motor mit der unzulässigen Abschalteinrichtung entwickelt worden ist und wer daran beteiligt war. Ein solcher Vortrag ist ihr zumutbar (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 39 ff. bei juris). Verlangt ist der Vortrag über positive Tatsachen, sodass es nicht darauf ankommt, ob der Beklagten ein Vortrag über negative Tatsachen zumutbar wäre (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 05.03.2019, 13 U 142/18, Rn. 51 ff. bei juris).
75cc) Es käme im Übrigen eine Haftung der Beklagten nach §§ 831, 826 BGB für ihre Mitarbeiter in Betracht, die als Erfüllungsgehilfen anzusehen sind. Für jeden Mitarbeiter gelten die Überlegungen, die zu der Haftung der Beklagten wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung führen, entsprechend (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 43 bei juris).
76e) Die Beklagte hat vorsätzlich gehandelt. Für den Vorsatz reicht es aus, wenn der Schädigende Art und Richtung des Schadens und die Schadensfolgen zumindest vorausgesehen und billigend in Kauf genommen hat, wobei bei einer Gesellschaft wiederum ihre Organe diesen Vorsatz gehabt haben müssen (BGH NJW 2017, 250, 253 Rn. 24 f.).
77Wie unter d) dargelegt, kannten die Organe der Beklagten die Ausstattung der Motoren mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Sie mussten aufgrund dieser Kenntnis davon ausgehen, dass Käufer der Fahrzeuge einen Schaden durch die Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit erlitten, weil sie in Kenntnis der Abschalteinrichtung den Vertrag nicht geschlossen hätten. Dass sie dennoch die Fahrzeuge mit den manipulierten Motoren in Verkehr gebracht haben, zeigt, dass sie die Schädigung der Käufer billigend in Kauf genommen haben.
78f) Dem Kläger steht Schadensersatz zu. Er kann den Ersatz des negativen Interesses verlangen.
79aa) Der Kläger kann verlangen, so gestellt zu werden, wie er stünde, wenn er den ungewollten Vertrag nicht eingegangen wäre. Er kann so verlangen, dass die Beklagte ihm den Kaufpreis ersetzt. Andererseits muss er der Beklagten das erworbene Fahrzeug übereignen.
80bb) Die Ermittlung des Werts des Gebrauchsvorteils durch das Landgericht ist nicht zu beanstanden. Der Beklagte muss keinen Wertersatz für das Fahrzeug leisten, sodass es nicht darauf ankommt, dass es in der ersten Zeit der Nutzung einen höheren Wertverlust erleidet als später. Abgesehen davon hat der Kläger das Fahrzeug bereits gebraucht erworben.
81Der Wert des Gebrauchsvorteils kann nach § 287 Abs. 1 ZPO geschätzt werden. Eine lineare Ermittlung des Werts der gefahrenen Kilometer anhand des Verhältnisses von Kaufpreis und erwarteter Restlaufleistung ist sachgerecht, weil sie einfach zu handhaben ist und zu brauchbaren Ergebnissen kommt.
82cc) Delitkszinsen nach § 849 BGB stehen der Klägerin nicht zu. Nach § 849 BGB ist bei der Entziehung einer Sache der Wertersatz ab dem Zeitpunkt der Entziehung zu verzinsen. Der Geschädigte soll pauschalen Nutzungsersatz erhalten, ohne die Höhe nachweisen zu müssen. Die Vorschrift kann auch eingreifen, wenn der Geschädigte Geld überweist (BGH NJW 2008, 1084).
83Die Beklagte hat dem Kläger den Kaufpreis indes nicht entzogen. Der Kaufpreis ist nicht an sie, sondern an die Verkäuferin gezahlt worden.
84Zudem erfolgte die Zahlung nicht ersatzlos. Deliktszinsen sind nicht zu zahlen, wenn der Geschädigte als Gegenleistung für eine Kaufpreiszahlung ein Fahrzeug erhält, das er nachfolgend uneingeschränkt bestimmungsgemäß nutzen kann, weil es dann keines pauschalen Ersatzes der Nutzungsmöglichkeit des Kaufpreises mehr bedarf (BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 354/19).
85Ein Nutzungsausfall bezüglich des Kaufpreises ist auch deswegen nicht entstanden, weil der Kläger offenbar ein Fahrzeug benötigte. Er hätte sonst ein anderes gekauft und hätte den Kaufpreis so auch nicht anderweitig gewinnbringend nutzen können. Die Nutzung des hypothetischen anderen Fahrzeugs hätte ihm gegenüber der Nutzung des streitgegenständlichen Fahrzeugs keine Vorteile gebracht.
86cc) Die Beklagte ist nicht in Annahmeverzug geraten. Zwar hätte nach § 295 BGB ein wörtliches Angebot gereicht, weil die Mitwirkung der Beklagten notwendig war. Indes darf der Schuldner, wenn er Zug-um-Zug eine Leistung verlangt, nicht zu viel verlangen (OLG Karlsruhe NJW 2008, 925, 927). Der Kläger hat jedoch im Schreiben vom 30.10.2018 die Zahlung des gesamten Kaufpreises gefordert, ohne den Vorteilsausgleich zu berücksichtigen. Auch mit der Klage hat er einen überhöhten Betrag verlangt, weil er von einer zu hohen Gesamtlaufleistung ausgeht. Zudem macht er die Übereignung des Fahrzeugs zu Unrecht von der Zahlung von Deliktszinsen abhängig.
87dd) Zinsen auf die Hauptforderung stehen dem Kläger erst ab Rechtshängigkeit nach § 291 BGB zur. Vorher ist die Beklagte wegen der Zuvielforderung nicht in Verzug geraten.
88ee) Der Kläger kann den Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangen. Die Einschaltung eines Rechtsanwalts war zur zweckgerichteten Rechtsverfolgung erforderlich. Die vom Landgericht angenommene Höhe der Vergütung – eine 1,3 Gebühr nach einem Geschäftswert, der sich aus der Klageforderung abzüglich der Vorteilsausgleichung zurzeit der Klageerhebung ergibt – ist nicht zu beanstanden.
892. Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.
90a) Im Wege der Vorteilsausgleichung sind die Vorteile anzurechnen, die durch die Nutzung des streitgegenständlichen Fahrzeugs entstanden sind. Die Vorteilsausgleichung folgt aus dem schadensrechtlichen Bereicherungsverbot und gilt auch für Ansprüche aus § 826 BGB (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI 252/19, Rn. 65 f. bei juris).
91aa) Die Anrechnung des Gebrauchsvorteils ist für den Kläger nicht unzumutbar. Denn er konnte das Fahrzeug seit dem Kauf ohne Einschränkungen bestimmungsgemäß nutzen, ohne dass erkennbar ist, dass er Nachteile dadurch erleidet. Das Fahrzeug ist nach wie vor zulassungsfähig, die Typengenehmigung besteht nach wie vor.
92Die Beklagte wird durch den Vorteilsausgleich nicht unbillig entlastet. Im Gegenteil muss sie dem Kläger Schadensersatz leisten, obwohl sie aus dem Verkauf des Fahrzeugs an ihn keinerlei Vorteile gehabt hat. Denn Verkäuferin war nicht sie, sondern eine andere Gesellschaft, die das Fahrzeug als Gebrauchtwagen verkauft hat. Zwar hat die Beklagte ursprünglich Gewinn gezogen, als sie den Motor verkauft hat. Das steht aber in keinen Zusammenhang mit dem Kauf des Fahrzeugs durch den Kläger und geschah nicht auf dessen Kosten.
93Der Beklagten diesen Gewinn zu entziehen, ist nicht Aufgabe des deutschen Schadensersatzrechts. Denn der Strafschadensersatz ist dem deutschen Recht fremd. Der Geschädigte kann allein den Ausgleich seines Schadens verlangen, nicht aber eine darüber hinausgehende Belastung des Schädigers. Diese Belastung ist Aufgabe des Staates, der Geldstrafen oder Bußgelder verhängen kann.
94Dass der Vorteilsausgleich mit Zeitablauf bzw. mit den gefahrenen Kilometern ansteigt, steht der Anrechnung nicht entgegen. Es ist nur eine natürliche Folge der Schadensberechnung. Wenn der Kläger das Fahrzeug bis zur wirtschaftlichen Wertlosigkeit nutzt, ist ihm kein Schaden entstanden.
95Der europarechtliche Effektivitätsgrundsatz steht nicht entgegen. Im Schadensrecht gibt es keine europäische Gesetzgebung. Der Anspruch resultiert allein aus dem nationalen Deliktsrecht. Der Kläger ist nicht gehindert, seinen Anspruch gerichtlich geltend zu machen, nur weil er sich die Vorteile der Nutzung anrechnen lassen muss. Was die europarechtlichen Regeln über die Zulassung von Kraftfahrzeugen angeht, so sind die Mitgliedsstaaten aufgerufen, sie durchzusetzen. Mit dem Rückruf der betroffenen Fahrzeuge und der Verhängung des Bußgeldes ist das auch erfolgt.
96bb) Bei der Ermittlung des Wertes der Nutzung ist von dem Kaufpreis auszugehen, nicht von dem etwa abweichenden Wert des Fahrzeugs. Denn es geht darum, was der Kläger zurzeit des Kaufes im Gegenzug für die Aufwendung des Kaufpreises an Vorteilen erwarten durfte. Ein geminderter Fahrzeugwert ist nur dann zur Ermittlung des Gebrauchsvorteils heranzuziehen, wenn die Nutzung mangelbedingt eingeschränkt war.
97Die Annahme einer Gesamtlaufleistung von 300.000 km für ein Fahrzeug mit einem 4,2 l-Motor ist nicht zu beanstanden. Ein Sachverständigengutachten muss dazu nicht eingeholt werden. Die Höhe der Nutzungsentschädigung kann nach § 287 Abs. 1 ZPO im Wege der Schätzung erfolgen. Dabei kommt es nicht darauf an, welche Lebensdauer das Fahrzeug des Klägers maximal erreichen kann. Der Wert der Nutzung ist vielmehr nur überschlägig zu ermitteln. Dabei ist eine Annahme dazu zu treffen, wie lange Nutzer von Fahrzeugen wie dem des Klägers solche Fahrzeuge durchschnittlich nutzen werden.
98Der Wert der Nutzung ist nach der Formel Kaufpreis / (Gesamtlaufleistung – Laufleistung zurzeit des Kaufs) x gefahrene Kilometer zu errechnen. Letztere ergeben sich aus dem aktuellen Kilometerstand abzgl. des Kilometerstandes zurzeit des Kaufes. Der Wert der Nutzung beträgt danach 33.219,88 € (115.800,00 / 295.305 [300.000 – 4.695] x 84.715 [89.410 -4.695]). Der restliche Schaden beläuft sich auf 82.580,12 € (115.800 – 33.219,88).
99b) Als Gegenstandswert zur Ermittlung der zu erstattenden Rechtsanwaltskosten ist nicht der volle Kaufpreis anzusetzen, denn die Vorteilsausgleichung wirkt sich unmittelbar schadensmindernd aus. Sie gibt der Beklagten nicht einen Gegenanspruch auf Ersatz der Nutzungsvorteile.
100Da der Kilometerstand des Fahrzeugs zurzeit der vorgerichtlichen Tätigkeit der Klägervertreter nicht bekannt ist und die Höhe des berechtigt zu fordernden Schadens so nicht ermittelt werden kann, kann der Mindestschaden wie vom Landgericht nach dem Kilometerstand zurzeit der Klageerhebung berechnet werden.
1013. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 709, 711 ZPO.
102Die Zulassung der Revision ist nicht angezeigt, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO). Es handelt sich um eine Entscheidung im Einzelfall. Die entscheidungserheblichen Rechtsfragen sind geklärt.
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