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Heute am 28.08.2019 hat das OLG Koblenz in dem Verfahren mit dem Az: 5 U 1218/18 zum Schadensersatz verurteilt. Die Besonderheit in diesem Verfahren ist, dass das Fahrzeug schon weiter veräussert wurde nach einem Verkehrsunfall. Da das OLG die Revision zugelassen hat, ist das Verfahren nun unter BGH – VI ZR 252/19 beim Bundesgerichtshof anhängig.
Das Urteil des OLG Koblenz und dessen Begründung finden Sie nachfolgend:
Aktenzeichen:
5 U 1218/18
12 O 228/17 LG Koblenz
Oberlandesgericht
Koblenz
Verkündet am 28.08.2019
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
In dem Rechtsstreit
…
– Klägerin, Berufungsklägerin und Berufungsbeklagte –
Prozessbevollmächtigte: xxx
gegen
Volkswagen AG, vertreten durch d. Vorstand, xxx,
– Beklagte, Berufungsbeklagte und Berufungsklägerin –
Prozessbevollmächtigte:…
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht G., die Richterin am Oberlandesgericht S. und die Richterin am Oberlandesgericht K. auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 07.08.2019 für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 17. September 2018 teilweise unter Zurückweisung der Berufungen beider Parteien im Übrigen abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.504,69 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23. Dezember 2017 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird weiter verurteilt, an die Klägerin von der durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 958,19 € freizustellen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Von den Kosten der Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin 48 % und die Beklagte 52 %. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin 61 % und die Beklagten 39 %.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
6. Die Revision wird zugelassen.
7. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 14.170,14 € festgesetzt.
8. Der Streitwert für das Verfahren erster Instanz wird unter Abänderung der Streitwertfestsetzung des Landgerichts auf 10.504,69 € festgesetzt.
I.
1Die Klägerin begehrt die Rückzahlung des (Teil-)Kaufpreises für einen Personenkraftwagen, dessen Motor mit einer Steuerungssoftware versehen war, die erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand betrieben wird, Zug um Zug gegen Zahlung eines Wertersatzes statt der Rückgabe des Fahrzeugs unter Berücksichtigung einer Nutzungsentschädigung für das Fahrzeug. Des Weiteren begehrt die Klägerin die Verzinsung des Kaufpreises seit Kaufvertragsschluss und die Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten für weitere Schäden aufgrund des Einsatzes der Steuerungssoftware.
2Die Klägerin erwarb am 7. März 2012 zu einem Preis von 35.739,01 €/brutto von der Beklagten einen Neuwagen VW Golf Plus Comfortline 1.6 TDI, der mit einem 1,6-Liter Dieselmotor des Typs EA 189, Schadstoffnorm Euro 5 ausgestattet war und dessen Hersteller die Beklagte ist. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typengenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt. Das Fahrzeug wurde der Klägerin am 11. Oktober 2012 übergeben.
3Die im Zusammenhang mit dem Motor verwendete Software erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wird und schaltet in diesem Fall in den Abgasrückführungs-Modus 1, einen stickoxid (NOx)-optimierten Modus. In diesem Modus findet eine Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß statt. So werden mehr Stickoxide in den Motor zurückgeführt, wo sie erneut am weiteren Verbrennungsvorgang beteiligt werden, bevor sie das Emissionskontrollsystem erreichen. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltet der Motor dagegen in den Abgasrückführungs-Modus 0, bei dem die Abgasrückführungsrate geringer und der Stickoxid-Ausstoß höher ist. Für die Erteilung der Typengenehmigung der Emissionsklasse Euro 5 maßgeblich war der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand.
4Im September 2015 räumte der Hersteller öffentlich die Verwendung einer entsprechenden Software ein. Gegen die Beklagte erging ein bestandskräftiger Bescheid des Kraftfahrtbundesamts (KBA) mit nachträglichen Nebenbestimmungen zur Typengenehmigung, der auch das Fahrzeug der Klägerin betrifft. Das KBA ging vom Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung aus und gab der Beklagten auf, diese zu beseitigen und die Einhaltung der maßgeblichen Grenzwerte anderweitig zu gewährleisten. Die Beklagte als Hersteller gab mit Pressemitteilung vom 16. Dezember 2015 (Anlage K 5) bekannt, Software-Updates durchzuführen, mit denen die Software aus allen Fahrzeugen mit Motoren des Typs EA 189 entfernt werden sollte, wobei bei Fahrzeugen mit einem 1,6-Liter-Motor zusätzlich ein sogenannter Strömungsgleichrichter vor dem Luftmassenmesser eingebaut werden sollte. Nach der Installation sollen die betroffenen Fahrzeuge nur noch in einem adaptierten Modus 1 betrieben werden.
5Am 14. September 2016 veräußerte die Klägerin das Fahrzeug nach einem von ihr nicht verschuldeten Unfall zu einem Preis von 6.910,- € bei einem Kilometerstand von 86.272 km weiter. Zudem erhielt die Klägerin einen Betrag in Höhe von 6.857,88 € als Versicherungsleistung zum Zwecke der Schadensregulierung. Durch einen Kfz-Sachverständigen waren zuvor ein Wiederbeschaffungswert von 14.000,- €, ein Restwert von 6.000,- € und eine Wertminderung von 500,- festgestellt worden.
6Mit Schreiben vom 30. November 2015 forderte die Klägerin die Beklagte zur Lieferung eines nach aktuellen Vorschriften zulassungsfähigen mangelfreien und vertragsgemäßen Neuwagens auf (Anlage R 38). Mit Schreiben vom 7. Juni 2017 setzte die Klägerin der Beklagten erfolglos eine Frist zum 21. Juni 2017 zur Rückabwicklung des Kaufvertrages (Bl. 63 ff GA).
7Die Klägerin hat erstinstanzlich vorgetragen, das Fahrzeug sei nicht zulassungsfähig gewesen. Sie sei aufgrund der EG-Übereinstimmungsbescheinigung davon ausgegangen, dass der PKW mit dem genehmigten Typ übereinstimme und alle europäischen und nationalen Vorschriften erfülle. Ihr sei sowohl unter Umwelt- als auch Wertstabilitätsgründen die Einhaltung der Abgasnormen wichtig gewesen. Wenn sie von der verwendeten Software gewusst hätte, hätte sie das Fahrzeug nicht erworben.
8Die Software habe die Beklagte mit dem Ziel der Gewinnmaximierung eingesetzt und dabei Gesundheitsschäden vieler Menschen in Kauf genommen und sich damit abgefunden. Die Software sei ab 2008 mit Billigung des damaligen Leiters der Entwicklungsabteilung Dr. H. in die Motoren integriert worden. Der spätere Entwicklungsvorstand habe die Anweisung erteilt, die Manipulationssoftware in die Motorsteuerung einzubauen. Auch der Leiter der Aggregatentwicklung Hatz habe die Manipulationen angeordnet. 2011 sei der damalige Leiter der Aggregatentwicklung und Markenvorstand Neußer vor der Verwendung illegaler Praktiken mit Abgaswerten gewarnt worden. Dieser und der Vorstand Dr. H. hätten von Beginn an von den Manipulationen gewusst. Die Software sei auch mit Wissen des Vorstandsvorsitzenden entwickelt und installiert worden. Selbst wenn die Vorstände keine positive Kenntnis gehabt hätten, wäre es ihnen möglich und auch ihre Aufgabe gewesen, sich über den Stand der Technik zu informieren.
9Es bestehe die Gefahr, dass das Fahrzeug stillgelegt werde. Die erwartbare Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs liege bei mindestens 300.000 km. Die Klägerin begehrt die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten aus einer 2,0-Geschäftsgebühr. Die Klägerin ist der Auffassung, der Kaufpreis sei gem. § 849 BGB zu verzinsen.
10Die Beklagte hat demgegenüber eingewandt, für eine Haftung ihrerseits sei kein Raum. Die Software stelle keine verbotene Abschalteinrichtung, sondern eine innermotorische Maßnahme dar. Auf die Grenzwerte im tatsächlichen Fahrbetrieb komme es nicht an, da sich der Gesetzgeber dafür entschieden habe, die Grenzwerte unter Laborbedingungen zu erheben. Insofern fehle es auch an einer Täuschung. Nach derzeitigem Ermittlungsstand lägen keine Erkenntnisse dafür vor, dass eines ihrer Vorstandsmitglieder im Sinne des Aktienrechts an der Entwicklung der Software beteiligt gewesen sei oder die Entwicklung oder Verwendung der Software in Auftrag gegeben habe oder gebilligt. Sie bestreitet, dass ihr damaliger Vorstandsvorsitzender oder andere Mitglieder des Vorstands von der Entwicklung der Software gewusst hätten. Dies sei ausdrücklich auf den derzeit bekannten Entwicklungsstand gestützt. Weitergehender Vortrag sei ihr nicht zumutbar. Die Herren Dr. H. und Neußer seien zudem zu keinem Zeitpunkt Vorstände der Beklagten im aktienrechtlichen Sinn gewesen. Ein Schaden sei nicht entstanden, da das Fahrzeug sicher und fahrbereit sei. Für das Fahrzeug sei von einer Gesamtlaufleistung von 200.000 km auszugehen. Hinsichtlich des weiteren erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes sowie der erstinstanzlichen Anträge der Parteien wird auf die angefochtene Entscheidung vom 17. September 2019 (Bl. 544 ff GA) verwiesen.
11Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben. Der Antrag auf Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten für weitere Schäden sei mangels Feststellungsinteresses unzulässig. Im Hinblick auf die zwischenzeitlich erfolgte Veräußerung des Fahrzeugs sei nicht ersichtlich, welche nicht bezifferbaren Schäden der Klägerin drohten. Der Klägerin stehe jedoch gem. § 826 BGB ein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises zu, abzüglich eines angemessenen Wertersatzes für das Fahrzeug sowie abzüglich Nutzungsersatz. Die Klägerin sei über den Einsatz einer Manipulationssoftware getäuscht und dadurch zum Abschluss des Kaufvertrages gebracht worden, was sie in ihrer Dispositionsfreiheit verletzt habe. Das Verhalten der Beklagten sei sittenwidrig. Die Software habe eine unzulässige wettbewerbsverzerrende Maßnahme dargestellt. Getäuscht worden seien die zuständigen Behörden und potentielle Kunden, was auch zu Lasten möglicher Konkurrenten gehe. Die Beklagte müsse sich dabei das Handeln ihrer verantwortlichen Mitarbeiter gem. § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB zurechnen lassen. Die Beklagte habe dabei nicht hinreichend dargelegt, wer den Einbau der Software betriebsintern zu verantworten habe. Zudem hafteten die Beklagten für das Handeln ihrer verfassungsmäßigen Vertreter gem. § 31 BGBanalog, jedenfalls aber aus Organisationsverschulden. Der in Ansatz zu bringende Nutzungsersatz belaufe sich bei gefahrenen 86.272 km unter Zugrundelegung einer geschätzten Gesamtlaufleistung von 250.000 km auf 12.208,87 €. Zudem sei ein Wiederbeschaffungswert für das Fahrzeug von 14.000,- € in Ansatz zu bringen. Die Beklagte habe weiterhin Ersatz zu leisten für vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe einer 1,3-Gebühr aus einem Streitwert von 15.782,28 € (geltend gemachte 29.782,28 € abzüglich 14.000,- €).
12Hiergegen wenden sich beide Parteien mit der Berufung unter Weiterverfolgung ihrer erstinstanzlichen Anträge.
13Die Klägerin ist der Auffassung, das Landgericht habe rechtsfehlerhaft und für sie überraschend das Feststellungsinteresse hinsichtlich möglicher weiterer Schäden verneint, obwohl sie den möglichen Eintritt weiterer Schäden (Steuernachforderungen, Regressforderungen des Nachkäufers) schlüssig vorgetragen habe. Die von der Klägerin zu leistende Nutzungsentschädigung sei nicht aus dem gezahlten Kaufpreis, sondern dem aufgrund der verwendeten Software geringeren Wert des Fahrzeugs zu leisten. Es sei zudem eine Gesamtlaufleistung von 400.000 km anzusetzen gewesen. Die zu ersetzenden Rechtsanwaltsgebühren seien aus einer 2,0-Gebühr zu berechnen, zudem habe das Landgericht einen unzutreffenden Streitwert zugrunde gelegt. Der gezahlte Kaufpreis sei gem. § 849 BGB mit 4 % zu verzinsen.
14Im Übrigen wird auf die Ausführungen in der Berufungsbegründung vom 28. Januar 2019 (Bl. 704 ff GA) verwiesen.
15Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 17. September 2018, soweit die Klage abgewiesen wurde, aufzuheben und wie folgt zu ändern:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an sie 29.782,28 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30. Dezember 2012 zu bezahlen, Zug um Zug gegen Zahlung eines von der Beklagten noch darzulegenden Wertersatzes statt der Rückgabe des Fahrzeugs VW Golf 1,6 l TDI, FIN … sowie Zug um Zug gegen Zahlung einer von der Beklagten noch dazulegenden Nutzungsentschädigung für die Nutzung des PKW.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Zinsen in Höhe von 4 % aus 29.782,28 € seit dem 9. Oktober 2012 bis zum 29. Dezember 2015 zu bezahlen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.077,74 € freizustellen.
4. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin Schadensersatz zu bezahlen für die über die Anträge 1. bis 3. hinausgehenden Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs VW Golf 1,6 l TDI, FIN … durch die Beklagte resultieren.
16Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zu verwerfen,
hilfsweise zurückzuweisen.
17Die Berufung sei bereits unzulässig, da sie nicht für den individuellen Fall gefertigt worden sei und eine auf den Streitfall zugeschnittene Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen nicht erfolge. Sie ist der Auffassung, das Landgericht habe rechtsfehlerhaft den Klagevortrag zur Kenntnis des Vorstands der Beklagten als substantiiert erachtet und Vorsatz der Beklagten unterstellt, zudem eine Kausalität zwischen einer sittenwidrigen Schädigung und der Kaufentscheidung der Klägerin angenommen. Insbesondere habe das Landgericht die Zurechnung nicht alternativ auf § 31 BGB oder § 831 BGB oder auf ein Organisationsverschulden stützen dürfen. Es liege keine sittenwidrige Täuschung vor und der Klägerin sei auch kein ersatzfähiger Vermögensschaden entstanden. Im Übrigen verteidigt sie das erstinstanzliche Urteil unter Vertiefung ihres Vorbringens.
18Auf die Ausführungen in der Berufungsbegründung vom 20. November 2018 (Bl. 590 ff GA) wird ebenso verwiesen wie auf die Berufungserwiderung vom 13. März 2019 (Bl. 730 ff GA) und den Schriftsatz vom 21. August 2019.
19Sie beantragt,
das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 17. September 2018 abzuändern und die Klage vollständig abzuweisen.
20Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
21Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Vertiefung ihres Vorbringens. Auf die Berufungserwiderung vom 7. Januar 2019 (Bl. 648 ff GA) wird Bezug genommen.
II.
22Die zulässige Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Die Berufung der Beklagten hat in geringem Umfang Erfolg.
231. Der Klägerin steht gegen die Beklagte gemäß § 826 i.V.m. § 31 BGB analog wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch zu. Nach Anrechnung der von ihr gezogenen Nutzungen und unter Abzug eines von der Klägerin wegen Unmöglichkeit der Herausgabe des Fahrzeugs zu leistenden Wertersatzes ergibt sich ein Anspruch auf Zahlung von 5.504,69 €. Der Klägerin ist in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zugefügt worden. Dies ist der Beklagten zuzurechnen.
a) Tathandlung
24Das Inverkehrbringen eines Fahrzeugs mit der streitgegenständlichen Umschaltlogik unter bewusstem Verschweigen der (gesetzwidrigen) Softwareprogrammierung stellt eine konkludente Täuschung dar, da der Hersteller mit dem Inverkehrbringen konkludent die Erklärung abgibt, der Einsatz des Fahrzeugs sei im Straßenverkehr uneingeschränkt zulässig (so auch OLG Karlsruhe, Beschluss vom 05. März 2019 – 13 U 142/18 -, Rn. 8, juris). Es stellt sich für den Senat die Frage, warum die Klägerin die Softwareprogrammierung verschwiegen hat, wenn sie aus ihrer Sicht ohne rechtliche Bedenken sein soll.
25Wie noch zu zeigen sein wird, ist der Senat davon überzeugt, dass die verantwortlichen Personen im Sinne des § 31 BGB den Einsatz der gesetzwidrigen Software und das Inverkehrbringen der hiermit ausgestatteten Fahrzeuge aktiv unterstützt oder jedenfalls bewusst nicht unterbunden haben.
26Ein Hersteller, der ein Kraftfahrzeug in Verkehr bringt, gibt konkludent die Erklärung ab, dass der Einsatz des Fahrzeugs entsprechend seinem Verwendungszweck im Straßenverkehr uneingeschränkt zulässig ist. Der Hersteller bringt insoweit zum Ausdruck, dass das Fahrzeug entsprechend seinem objektiven Verwendungszweck nicht nur im Straßenverkehr eingesetzt werden kann, sondern auch eingesetzt werden darf, d.h. über eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis verfügt, deren Fortbestand nicht aufgrund bereits bei Auslieferung des Fahrzeugs dem Hersteller bekannter konstruktiver Eigenschaften gefährdet ist. Das setzt voraus, das nicht nur die erforderlichen Zulassungs- und Genehmigungsverfahren formal erfolgreich durchlaufen wurden, sondern auch, dass die für den Fahrzeugtyp erforderliche EG-Typengenehmigung nicht durch eine Täuschung des zuständigen Kraftfahrbundesamts erschlichen worden ist und das Fahrzeug den für deren Erhalt und Fortdauer einzuhaltenden Vorschriften tatsächlich entspricht (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O., Rn. 11).
(1) Unzulässige Abschalteinrichtung
27Ausweislich des bestandskräftigen Bescheids des KBA liegt bei dem Motor des Typs EA 189 eine unzulässige Abschalteinrichtung nach Art. 3 Nr. 10 der VO (EG) 715/2017 (im Folgenden: VO 715/2007/EG) vor. Schon dies genügt dem Senat, um von einer unzulässigen Abschalteinrichtung auszugehen. Der dies negierende Vortrag der Beklagten bleibt damit unerheblich.
28Ungeachtet dessen liegt auch nach eigener Prüfung des Senates eine unzulässige Abschalteinrichtung und nicht nur eine rein innermotorische Maßnahme vor.
29Auch der Bundesgerichtshof hat bereits darauf hingewiesen, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegt (BGH, Hinweisbeschluss vom 08. Januar 2019 – VIII ZR 225/17). Dem schließt sich der Senat an.
30Nach Art. 5 Abs. 1 VO 715/2007/EG hat der Hersteller von ihm gefertigte Neufahrzeuge dergestalt auszurüsten, dass die Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen den Vorgaben der Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht. Damit soll sichergestellt werden, dass sich die vorgegebenen Emissionsgrenzwerte auf das tatsächliche Verhalten der Fahrzeuge bei ihrer Verwendung beziehen (vgl. Erwägungsgrund 12 der VO 715/2007/EG) und dass die zur Verbesserung der Luftqualität und zur Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte erforderliche erhebliche Minderung der Stickoxidemissionen bei Dieselfahrzeugen (vgl. Erwägungsgrund 6 der VO 715/2007/EG) erreicht wird (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 10 ff).
31Folgerichtig sieht die Verordnung die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, strikt als unzulässig an (Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO 715/2007/EG), sofern nicht die ausdrücklich normierten Ausnahmetatbestände (Art. 5 Abs. 2 Satz 2 VO 715/2007/EG) greifen. Eine „Abschalteinrichtung“ ist nach Art. 3 Nr. 10 VO 715/2007/EG jedes Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.
32Ausgehend von diesen weitgefassten Bestimmungen handelt es sich auch bei der im Fahrzeug der Klägerin installierten Software um eine unzulässige Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG (vgl. auch OLG Koblenz – 2. Zivilsenat – Beschluss vom 27. September 2017, 2 U 4/17, NJW-RR 2018, 376). Denn eine solche Software erkennt, ob sich das Fahrzeug in einem Prüfzyklus zur Ermittlung der Emissionswerte befindet und schaltet in diesem Fall in den Modus 1, bei dem verstärkt Abgase in den Motor zurückgelangen und sich so der Ausstoß an NOx verringert. Im normalen Fahrbetrieb hingegen aktiviert die Software den Modus 0, bei dem eine Abgasrückführung nur in geringerem Umfang stattfindet; sie ermittelt also aufgrund technischer Parameter die betreffende Betriebsart des Fahrzeugs – Prüfstandlauf oder Echtbetrieb – und aktiviert oder deaktiviert dementsprechend die Abgasrückführung, was unmittelbar die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems beeinträchtigt.
33Soweit Art. 5 Abs. 2 Satz 2 VO 715/2007/EG in bestimmten Fällen die Verwendung von Abschalteinrichtungen gestattet, liegen die hierfür erforderlichen (engen) Voraussetzungen nicht vor. Die vorgesehenen Ausnahmen kommen – nicht zuletzt aufgrund des in Art. 5 Abs. 1 VO 715/2007/EG ausdrücklich benannten Regelungszwecks dieser Vorschrift – von vornherein nicht in Betracht, wenn die betreffende Abschalteinrichtung gerade dazu dient, bei erkanntem Prüfbetrieb ein vom Echtbetrieb abweichendes Emissionsverhalten des Fahrzeugs herbeizuführen, um auf diese Weise die Einhaltung der (andernfalls nicht erreichten) Emissionsgrenzwerte sicherzustellen.
34Aufgrund der beschriebenen Wirkungsweise der Software handelt es sich weder um eine Abschalteinrichtung, die notwendig ist, um den Motor vor einer Beschädigung oder einem Unfall zu schützen und den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten (Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a VO 715/2007/EG), noch um eine Abschalteinrichtung, die nicht länger arbeitet, als dies zum Anlassen des Motors erforderlich ist (Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchst. b VO 715/2007/EG).
(2) Keine rein innermotorische Maßnahme
35Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt sich bei der von ihr eingesetzten Software nicht um eine rein innermotorische Maßnahme. Funktionen im Emissionskontrollsystem werden durch den Einsatz der Software verändert. Befindet sich das Fahrzeug im Prüfstand, wird der Abgasrückführungs-Modus 1 verwendet, in dem eine erhöhte Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß stattfindet. Dadurch werden mehr Stickoxide in den Motor zurückgeführt als im Abgasrückführungs-Modus 0, der im normalen Fahrbetrieb eingeschaltet ist. Durch den veränderten Modus wird erreicht, dass der Stickoxidausstoß, der das Emissionskontrollsystem erreicht, geringer ist als im normalen Fahrbetrieb. Stickoxide werden also der Messung entzogen. Dadurch wird die Funktion des Emissionskontrollsystems verändert, da die dort ermittelten Messwerte nicht denen im normalen Fahrbetrieb entsprechen. Dies ergibt sich bereits aus der eigenen Beschreibung der Funktionsweise der Softwaresteuerung seitens der Beklagten.
(3) Keine Unerheblichkeit der Grenzwerte im Echtbetrieb
36Die Beklagte kann auch nicht damit gehört werden, auf die Grenzwerte im tatsächlichen Fahrbetrieb komme es gar nicht an, da sich der Gesetzgeber dafür entschieden habe, die Grenzwerte unter Laborbedingungen zu erheben.
37Dieses Vorbringen könnte erheblich sein, wenn die unterschiedlichen Bedingungen des Fahrbetriebs alleiniger Faktor für die Unterschiede beim NOx-Ausstoß wären. Dies ist aber gerade nicht der Fall. Über die unterschiedlichen Bedingungen des Fahrbetriebs hinaus kommt – schon nach dem eigenen Vortrag der Beklagten – bei den betroffenen Fahrzeugen der – rechtswidrige – zusätzliche Faktor der verwendeten Software hinzu, der durch die Änderung des verwendeten Modus Einfluss auf den NOx-Ausstoß nimmt. Die Beklagte hat mit dem Einsatz der Software den Boden des rechtlich Erlaubten verlassen.
b) Getäuschte
38Das täuschende Vorgehen der Beklagten zielte in verschiedene Richtungen.
39Einerseits richtete sich die Täuschung gegen die Genehmigungsbehörde. Dieser wurde vorgespiegelt, das Fahrzeug werde auf dem Prüfstand unter den Motorbedingungen betrieben, die auch im normalen Fahrbetrieb zum Einsatz kommen. Deren Interessen vermag die Klägerin aber nicht wahrzunehmen.
40Darüber hinaus resultiert aus den Täuschungen ein Eingriff in den freien Wettbewerb. Die Beklagte verschaffte sich dadurch, dass sie Fahrzeuge anbot, die die Voraussetzung für den Erhalt der Typengenehmigung aufgrund des Vorhandenseins der Abschalteinrichtung nicht erfüllten, eine Stellung am Markt, die sie ohne das planmäßige Vorgehen nicht oder nur mit einem erheblichen Aufwand und nur zu anderen Preisen hätte erreichen können. Auch wenn die Klägerin kein Wettbewerber ist, so ist aber doch zu sehen, dass die Beklagte damit nicht nur auf die Position von Wettbewerbern am Markt, die sich einem Konkurrenten gegenüber sahen, der sich ohne die Täuschung nicht oder nur zu anderen Konditionen hätte betätigen können, Einfluss genommen hat, sondern durch Einflussnahme auf den Wettbewerb, nämlich des Angebots eines Fahrzeugs, das sonst nicht oder nur zu einem erheblich höheren Preis zur Verfügung gestanden hätte, auch auf die Kaufentscheidung des Endverbrauchers.
41Letztlich wurden also zwangsläufig auch die Kunden der Beklagten getäuscht, die keinerlei Möglichkeiten hatten, die Täuschung zu erkennen. Nach Auffassung des Senates ist es nicht erforderlich, dass sich der Kunde bewusst mit der Frage auseinandersetzt, welche genauen Kriterien für die Erteilung der Typengenehmigung erfüllt sein müssen. Wer ein Fahrzeug erwirbt, um dieses im Straßenverkehr zu verwenden, vertraut darauf, dass die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden, wovon die erteilte Typengenehmigung zeugt. Der Kunde weiß, dass der Konstrukteur bzw. Hersteller eines Fahrzeugs kraft seiner Fachkenntnis ihm gegenüber zwangsläufig über einen Wissensvorsprung verfügt. Da der Kunde einen Einblick in die technischen Vorgänge nicht haben kann, bringt er denjenigen, die für die Entwicklung und Zulassung der Fahrzeuge verantwortlich sind, ein besonderes Vertrauen entgegen, das sich auch in der Markenauswahl beim Erwerb eines Fahrzeugs niederschlägt. Dies hat die Beklagte zu ihrem wirtschaftlichen Vorteil ausgenutzt.
c) Sittenwidrigkeit
42Das Verhalten der Beklagten ist auch sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB.
43Objektiv sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach Inhalt oder Gesamtcharakter, der durch zusammenfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, d.h. mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde vertragliche Pflichten oder das Gesetz verletzt oder bei einem anderen einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage tretenden Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH NJW 2014, 383, 384; BGH NJW 2017, 250, 251; st. Rspr.). Daran gemessen erweist sich das Handeln der Beklagten als objektiv sittenwidrig.
44Der Beweggrund für die Verwendung der Software ist (auch) in einer von der Beklagten angestrebten Profitmaximierung zu sehen. Ziel für die Handlung der Beklagten war es, die Höchstgrenzen des NOx-Ausstoßes einzuhalten und so die Typengenehmigung für die Fahrzeuge zu erhalten. Auf diese Weise sollte auf kostengünstigem Weg die Einhaltung der im multikausalen Interesse festgesetzten gesetzlichen Abgasgrenzwerte vorgetäuscht werden. Eine Einhaltung der Werte ohne die Steuerungssoftware war zum Zeitpunkt von deren Einbau entweder gar nicht möglich, mit großen Kosten oder technischen Schwierigkeiten verbunden. Einen anderen Grund für die Verwendung der Software hat die Beklagten weder vorgetragen noch ist ein solcher ersichtlich.
45Die technische Lösung musste zudem nach dem Bekanntwerden der Abschalteinrichtung zunächst entwickelt, vom KBA freigegeben und dann auf diverse Fahrzeugvarianten angepasst werden. Wenn dies zum Zeitpunkt der Fahrzeugfabrikation schon problemlos und ohne großen Kostenaufwand möglich gewesen wäre, ist nicht ersichtlich, warum die Beklagte den Weg der Abschalteinrichtung überhaupt gewählt hat.
46Zu berücksichtigen ist auch, dass sich die Täuschung gegen staatliche Behörden, Wettbewerber und Endverbraucher richtete und damit auf unterschiedliche Art eine große Zahl getäuschter Personen als Ziel hatte. Dabei hat sich die Beklagte auch das Vertrauen der Verbraucher in das bei einer unabhängigen Behörde, dem KBA, zu durchlaufende Genehmigungsverfahren zunutze gemacht.
47Als weiterer Aspekt kommt hinzu, dass das Vorgehen der Beklagten systematisch erfolgte. Über Jahre hinweg wurde die Abschalteinrichtung bei mehreren Tochterunternehmen des Konzerns in diversen Fahrzeugvarianten eingesetzt. Beim Oberlandesgericht Koblenz und dabei insbesondere beim erkennenden Senat sind und waren eine Vielzahl von Verfahren anhängig, die sich mit derselben Problematik befassen wie das vorliegende Verfahren und bei denen die Funktionsweise der Motorsteuerung im Hinblick auf den NOx-Ausstoß jeweils unstreitig ist. Daher ist bekannt, dass neben Fahrzeugen der Marke VW auch Fahrzeuge der Marken Audi, Skoda und Seat betroffen sind, in denen der Motor des Typ EA 189 mit der Motorsteuerungssoftware zum Einsatz kam. Betroffen war entsprechend ein großer Kundenkreis, der ein Fahrzeug mit dem Dieselmotor des Typs EA 189 erworben hat und dessen Arglosigkeit seitens der Beklagten planmäßig ausgenutzt wurde. Die unstreitige Gesamtzahl der betroffenen Fahrzeuge zeigt die besondere Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten, das sich nicht auf ein Fehlverhalten in einer Nischentätigkeit beschränkt, sondern den Kernbereich ihres Handelns betroffen hat.
48Das Verhalten der Beklagten ging auch zu Lasten der Umwelt, da der tatsächliche NOx-Ausstoß der Fahrzeuge aufgrund der verwendeten Abschalteinrichtung oberhalb der Werte lag, die im Typengenehmigungsverfahren ermittelt worden sind. Dies verletzt in besonders verwerflicher Weise nicht nur Allgemeininteressen, sondern auch elementare Individualinteressen. Die Beklagte kann insoweit nicht für sich in Anspruch nehmen, dass der Schutz der Umwelt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sei, so dass die Klägerin sich individuell hierauf nicht berufen könne. Soweit die Beeinträchtigung der Umwelt ohne jeden Zweifel eine gesamtgesellschaftliche Betroffenheit auslöst und sich hieraus deren Schutz als gemeinsame Aufgabe entwickelt, besteht die Erfüllung der Aufgabe doch in der Summe des Verhaltens Einzelner. Der Gesetzgeber steuert, etwa über Grenzwerte, das Verhalten Einzelner, was nicht ausschließt, dass sich jeder Verbraucher noch ambitionierter verhält. Der Einzelne kann gerade dadurch einen Beitrag zum Umweltschutz leisten, indem er möglichst umweltschonende Produkte erwirbt. Genau hierauf hat sich die Klägerin für den Senat nachvollziehbar berufen. Es stellt sich als Element der Sittenwidrigkeit in der Gesamtschau dar, dieses Bestreben des Einzelnen durch eine gezielte Täuschung zu unterlaufen. Es ist besonders verwerflich, den Einzelnen in dem Glauben zu lassen positiver als andere einen Beitrag zum Umweltschutz zu leisten, während genau das Gegenteil der Fall ist.
49Zur Sittenwidrigkeit trägt weiter bei, dass die Täuschung über Jahre hinweg aufrechterhalten wurde und die Aufklärung nicht etwa aus dem Unternehmen der Beklagten heraus betrieben wurde, sondern erst Raum griff, als die Beweislage erdrückend wurde. Die Entwicklung des Software-Updates erfolgte erst nach dem Bescheid des KBA. Es wurde die Arglosigkeit des Verbrauchers in besonders verwerflicher Weise ausgenutzt und sein Vertrauen auf die hohe Qualität gerade deutscher Fahrzeuge und gerade solcher Fahrzeuge, die die Beklagte hergestellt hat, missbraucht.
50Zu Bedenken sind des Weiteren die Folgen der verwendeten Software für den Kunden. Aufgrund der vom KBA angeordneten Rückrufaktion muss an den Fahrzeugen ein Software-Update durchgeführt werden, dessen Folgen höchst umstritten sind. Ohne Durchführung des Updates droht ein Entzug der Betriebserlaubnis und damit die Stilllegung des Fahrzeugs. Die Verwendung der Abschalteinrichtung gefährdet damit den ureigenen Zweck des Fahrzeugs, die Nutzung im öffentlichen Straßenverkehr. Das verwendete Mittel ist daher nicht akzeptabel, um den angestrebten Zweck, den Erhalt der Typengenehmigung zu erreichen. Dies gilt umso mehr, als die Beklagte das bestehende Zulassungssystem ausgenutzt hat, das besonderes Vertrauen für sich an Anspruch nehmen kann. Die Erteilung der Typengenehmigung erfolgt in einem standardisierten Verfahren durch eine staatliche Stelle. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass der Verbraucher als technischer Laie selbst nicht nachprüfen kann, ob ein Kraftfahrzeug gesetzlichen Vorgaben entspricht. Er hat daher die berechtigte Erwartung, dass der Zulassungsprozess ordnungsgemäß durchlaufen wurde.
51Soweit der 1. Senat des Oberlandesgerichts Koblenz – dort nicht entscheidungserheblich – die Annahme eines vorsätzlichen sittenwidrigen Verhaltens in Zweifel zieht (1 U 1552/18, Urteil vom 6. Juni 2019), da die Motorsteuerung dazu gedient habe, eine Beeinträchtigung des Motors durch eine dauerhafte Abgasrückführung zu verhindern, überzeugt dies den Senat nicht. Dies lässt außer Acht, dass die Maßnahme um den Preis eines drohenden Stilllegungsrisikos erfolgte, das den ureigensten Zweck des Fahrzeugerwerbs, die Teilnahme am Straßenverkehr, gefährdet hat.
52Es liegt mithin ein rechtlich nicht erlaubtes, in großem Stil angelegtes Vorgehen der Beklagten aus reinem Gewinnstreben vor. Die Verwerflichkeit wird durch das systematische Vorgehen und den großen betroffenen Personenkreis vertieft. Dass die Beklagte bis heute den Schaden für die Umwelt und die hierauf bezogene Individualbetroffenheit bagatellisiert, verstärkt die Sittenwidrigkeit. Gleiches gilt für die erheblichen Auswirkungen in der Aufarbeitung der Manipulation für den einzelnen Kunden. Im Element der Profitgier wie des Unterlaufens umweltbewusster Verhaltensweisen sieht der Senat schon für sich ein sittenwidriges Verhalten, das sich mit den weiteren Faktoren in einer Gesamtschau als in besonderer Weise verwerflich darstellt. Im Rahmen einer zusammenfassenden Würdigung kommt der Senat deshalb zu dem Ergebnis, dass das Inverkehrbringen der manipulierten Fahrzeuge und das Verschweigen der Softwaremanipulation gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstoßen. Als Teil der abstrakt betroffenen Gruppe der Verbraucher kann der Senat dies aufgrund eigener tatrichterlicher Würdigung feststellen.
d) Vorsatz und Zurechnung
(1) Vorsatz
53Die Verwendung der Software einschließlich der der Sittenwidrigkeit zugrundeliegenden Tatsachen erfolgte auch vorsätzlich. In subjektiver Hinsicht setzt der Schädigungsvorsatz gem. § 826 BGB keine Schädigungsabsicht im Sinne eines Beweggrundes oder Zieles voraus. Es genügt bedingter Vorsatz hinsichtlich der für möglich gehaltenen Schadensfolgen, wobei jener nicht den konkreten Kausalverlauf und den genauen Umfang des Schadens, sondern nur Art und Richtung des Schadens umfassen muss (BGH, Urteil vom 13. September 2004 – II ZR 276/02 -, Rn. 38, juris).
54Für den Vorsatz genügen das Bewusstsein, dass die Schädigung im Bereich des Möglichen liegt, sowie die billigende Inkaufnahme des Schädigungsrisikos. Nicht erforderlich ist, dass der Handelnde die Schädigung eines anderen anstrebt oder als sichere Folge des eigenen Handelns akzeptiert (Wagner in: Münchener Kommentar zu BGB, a.a.O., § 826 Rn. 27).
55Die Software wurde bewusst in die Motorsteuerung eingebaut, um die Abgasrückführung beeinflussen zu können und so die Typengenehmigung zu erhalten. Einen anderen Zweck hatte ihre Verwendung nicht. Dabei wurde bewusst in Kauf genommen, dass eine Entdeckung der verwendeten Software dazu führen würde, dass die Betriebserlaubnis der betroffenen Fahrzeuge würde erlöschen können. Die Beklagte hat dabei das Risiko der darin liegenden Schädigung der Kunden als möglich erkannt und dennoch billigend in Kauf genommen. Das ergibt sich auch aus dem Umstand, dass der feststellende Bescheid des KBA hingenommen wurde. Da die Beklagte wusste, dass sie die Typengenehmigung erhalten hatte, obwohl deren Voraussetzungen nicht erfüllt waren, musste sie ein Entdeckungsrisiko fürchten. Dabei ist nicht erklärlich, warum die Beklagte die Vorgänge überhaupt geheim gehalten hat, wenn sie ihr Vorgehen als rechtmäßig eingeordnet hätte. Im Gegenteil begründet gerade dies eine Vermutung für ein vorsätzliches Vorgehen.
56Die Beklagte hat auch die Folgen ihres Handelns jedenfalls billigend in Kauf genommen. Da die Behörden bei der Erteilung der Typengenehmigung getäuscht worden waren, konnten die Kunden davon ausgehen ein Fahrzeug zu erhalten, das den gesetzlichen Vorgaben entspricht. Dass im Falle der Entdeckung der Täuschung seitens des KBA Maßnahmen ergriffen werden mussten, musste der Beklagten klar sein und es war ihr klar. Anders ist ihr Verhalten nach der Entdeckung nicht zu verstehen. Das KBA als zuständige Behörde konnte ein gegen die gesetzlichen Regelungen verstoßendes Verhalten, das noch dazu einen Kernbereich seiner Aufgabe betrifft, nicht einfach hinnehmen. Die Beklagte musste davon ausgehen, dass das KBA in diesem Falle entweder die Typengenehmigung widerrufen oder aber Maßnahmen anordnen würde, um einen gesetzmäßigen Zustand der Fahrzeuge zu erreichen. Damit musste sie zwangsläufig davon ausgehen, dass dem Fahrzeug eine Betriebsuntersagung drohte, wenn dem nicht nachgekommen werden würde, so dass auch diese Schädigungsfolgen vom Vorsatz der Beklagten erfasst waren.
(2) Zurechnung
57Die Beklagte muss sich dabei das Handeln ihrer Mitarbeiter gem. § 31 BGB analog zurechnen lassen. Die Repräsentantenhaftung erstreckt sich für die juristischen Personen über den Vorstand, die Vorstandsmitglieder und die verfassungsmäßig berufenen besonderen Vertreter hinaus auf alle sonstigen Personen, denen durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, so dass sie die juristische Person im Rechtsverkehr repräsentieren (Arnold in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2018, § 31 Rn. 14, BGH NJW 1968, 391, 392). Da es der juristischen Person nicht freisteht, selbst darüber zu entscheiden, für wen sie ohne Entlastungsmöglichkeit haften will, kommt es nicht entscheidend auf die Frage an, ob die Stellung des „Vertreters“ in der Satzung der Körperschaft vorgesehen ist oder ob er über eine entsprechende rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht verfügt. Hierzu gehört auch der Personenkreis der leitenden Angestellten (BGH NJW 1998, 1854, 1856).
58Der gemäß § 826 BGB erforderliche Vorsatz enthält ein Wissens- und ein Wollenselement. Der Handelnde muss die Schädigung des Anspruchstellers gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen, jedenfalls aber für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben. Es genügt nicht, wenn die relevanten Tatumstände lediglich objektiv erkennbar waren und der Handelnde sie hätte kennen können oder kennen müssen oder sie sich ihm sogar hätten aufdrängen müssen (BGH, Urteil vom 28. Juni 2016 – VI ZR 536/15 – Rn. 25, juris).
59Zur Überzeugung des Senates steht schon fest, dass der Leiter der Entwicklungsabteilung der Beklagten von der Entwicklung und Verwendung der Software zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses Kenntnis hatte und dies gebilligt und, wenn nicht angeordnet, so zumindest nicht unterbunden hat. § 286 ZPO verlangt dabei zur Überzeugungsbildung ein Maß an persönlicher Gewissheit, welches Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGH NJW 1970, 946; BGH NJW, 1973, 1925; BGH NJW 1993, 935, 937; BGH NJW 2012, 392; BGH NJW 2014, 71; Zöller/Greger, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 286 Rn. 19).
60Die Programmierung der Software setzt denknotwendig eine aktive, im Hinblick auf dieses Ergebnis gewollte präzise Programmierung der Motorsteuerungssoftware voraus und schließt die Annahme einer fahrlässigen Herbeiführung dieses Zustands aus (LG Krefeld ZIP 2017, 1671). Angesichts der Dimension der manipulierten Fahrzeuge in Zahl und Qualität hält der Senat es für ausgeschlossen, dass der Leiter der Entwicklungsabteilung keine Kenntnis von den Manipulationen hatte. Das gilt umso mehr, als – unstreitig – bei allen Motoren der Serie EA 189 ausnahmslos die Manipulation festzustellen ist. Die Bestimmung gesetzlicher Grenzwerte war in ständiger öffentlicher, politischer, umwelttechnischer und wirtschaftlicher Diskussion. Insoweit liegt die Frage auf der Hand, welche Grenzwerte von einem Autobauer technisch zu beherrschen sind und wie dies geschieht. Auch mussten die technischen und wirtschaftlichen Grenzen gegenüber der nationalen wie europäischen Politik kommuniziert werden. Insoweit wird der Leiter der Entwicklungsabteilung einerseits entsprechenden Fragestellungen aus dem Vorstand ausgesetzt gewesen sein, wie er andererseits genau diese Fragen beantworten und dazu sachkundig sein musste. Es erscheint dem Senat dabei undenkbar, dass dem Leiter der Entwicklungsabteilung von seinen Mitarbeitern die technische Umsetzung in Form einer Abgasabschalteinrichtung verschwiegen wurde. Zu Recht weist das Oberlandesgericht Karlsruhe darauf hin, dass es sich in der Sache um eine Strategieentscheidung mit außergewöhnlichen Risiken für den gesamten Konzern und auch massiven persönlichen Haftungsrisiken für die entscheidenden Personen handelt, dem bei den untergeordneten Konstrukteuren kein in Anbetracht der arbeits- und strafrechtlichen Risiken annähernd adäquater wirtschaftlicher Vorteil gegenübersteht (OLG Karlsruhe, a.a.O., Rn. 55). Das sieht der Senat nicht anders. Aufgrund der Zahl der betroffenen Fahrzeuge handelte es sich auch nicht nur um eine Nischenfrage.
61Unabhängig von der Überzeugung des Senates ergibt sich aber auch kein anderes Ergebnis aus Darlegungs- und Beweislastgesichtspunkten. Grundsätzlich hat jede Partei die ihr günstigen Tatsachen vorzutragen und im Bestreitensfall zu beweisen. Insoweit geht auch der Senat von der grundsätzlichen Darlegungs- und Beweislast bei der Klägerin aus. Die Klägerin als Verbraucherin hat allerdings keine tieferen Einblicke in die Entscheidungsstrukturen der Beklagten. Die Beklagte hat ihr Bestreiten allein damit begründet, „nach derzeitigem Kenntnisstand“ sei nicht erwiesen, dass der Leiter der Entwicklungsabteilung Dr. H. von der Software und deren Einsatz gewusst habe. Dies ist als gem. § 138 Abs. 4 ZPO unzulässiges Bestreiten mit Nichtwissen zu qualifizieren.
62Die Klägerin hat umfangreich dazu vorgetragen, wer nach ihrem Wissensstand zu welchem Zeitpunkt Kenntnis von den Entscheidungen bei der Beklagten gehabt und diese gebilligt bzw. angeordnet hat. Auch hat sie vorgetragen, dass dies im Bewusstsein erfolgte, über die Zulassungsfähigkeit der Fahrzeuge zu täuschen. Dabei standen ihr allein öffentlich zugängliche Quellen zur Verfügung. Eine weitergehende Darlegung ist ihr daher nicht möglich. Vor diesem Hintergrund verletzt der Verweis auf den derzeitigen Kenntnisstand die der Beklagten obliegenden Erkundigungs- und Informationsobliegenheiten. Sie muss im eigenen Unternehmensbereich entsprechende Erkundigungen einholen. Sie ist verpflichtet, die ihr zugänglichen Informationen in ihrem Unternehmen und von denjenigen Personen einzuholen, die unter ihrer Anleitung, Aufsicht oder Verantwortung tätig geworden sind (BGH, Urteil vom 19. April 2011, BeckRS, 2001, 8009). Weshalb der Beklagten entsprechender Vortrag nicht möglich sein soll und welche Aktivitäten sie entfaltet hat, um ihrer Informationspflicht nachzukommen, ist nicht ersichtlich.
63Der Beklagten ist es darüber hinaus auch verwehrt sich auf die Unzumutbarkeit weiteren Vortrags zurückzuziehen. Dass in dem Unternehmen zu einem gewissen Zeitpunkt die Entscheidung zum Einsatz der Software getroffen wurde, ist unstreitig. Ein Unternehmen wie das der Beklagten muss eine Arbeitsorganisation vorhalten, in der wesentliche Entscheidungen dokumentiert und Kommunikationsflüsse nachvollziehbar sind. Dies schreibt sich die Beklagte auch unter Compliance-Gesichtspunkten öffentlich zu. So heißt es im öffentlichen Compliance-Bericht von Volkswagen aus dem Jahre 2014 (https://geschaeftsbericht2014.volkswagenag.com/konzernlagebericht/corporate-governance-bericht/compliance.html):
„Compliance ist im Volkswagen Konzern ein wesentlicher Teil der Governance, Risk & Compliance (GRC)-Organisation (siehe auch Risiko- und Chancenbericht). Dabei verfolgt Volkswagen einen präventiven Compliance-Ansatz und strebt eine Unternehmenskultur an, die die Belegschaft sensibilisiert und aufklärt und so potenzielle Regelverstöße bereits im Vorfeld ausschließt. Konzern-Revision und Konzern-Sicherheit führen die notwendigen investigativen Tätigkeiten regelmäßig aus, überprüfen systematisch die Regeleinhaltung und führen verdachtsunabhängige, stichprobenartige Kontrollen sowie Sachverhaltsermittlungen bei konkreten Verdachtsfällen durch. Das Personalwesen und das Konzern-Rechtswesen setzen die reaktiven Maßnahmen um. Im Sinne eines ganzheitlichen Compliance-Managementsystems sind diese Prozesse eng miteinander verzahnt.“
64Ohne strukturierende Arbeits- und Verhaltensanweisungen, die Dokumentation der Arbeitsausführung und ein hierauf bezogenes Kontrollsystem wäre ein Unternehmen wie das der Beklagten nicht zu führen. Wollte man annehmen, dass durch einen Verzicht auf diese Mechanismen bewusst Entscheidungsfindungen verschleiert werden, wäre darin seinerseits ein Anhaltspunkt für eine sittenwidrige Verfahrensweise zu sehen. Das Unternehmen könnte sich allzu einfach auf das Versagen Einzelner berufen und sich von der eigenen Haftung freizeichnen.
65Es erschließt sich daher nicht, warum die Beklagte nicht dazu vortragen kann, wer wann welche Entscheidung getroffen und an wen kommuniziert hat. Wenn Vorstand und leitende Angestellte tatsächlich nicht informiert gewesen sein sollten – was der Senat bei einer Entscheidung dieser Tragweite für ausgeschlossen hält – müsste die Beklagte im Stande sein, dies anhand der tatsächlich getroffenen Entscheidungen und der versagenden Kontrollmechanismen darzulegen. Das Bestreiten unter Bezugnahme auf den derzeitigen Kenntnisstand ist daher unbeachtlich, so dass von der Kenntnis des Entwicklungschefs seit 2011 auszugehen ist. Die Kenntnis der leitenden Angestellten genügt für eine Zurechnung nach § 31 BGB (s.o.)
66Darüber hinaus ist der Beklagten auch die Kenntnis von Vorstandsmitgliedern zuzurechnen. Die Beklagte kann sich nicht darauf zurückziehen, nach derzeitigem Ermittlungsstand lägen keine Erkenntnisse dafür vor, dass eines ihrer Vorstandsmitglieder im Sinne des Aktienrechts an der Entwicklung der Software beteiligt gewesen sei oder die Entwicklung oder Verwendung der Software in Auftrag gegeben bzw. davon gewusst habe. Insoweit gelten zunächst die gleichen Erwägungen für die Kenntnis der einzelnen Vorstandsmitglieder wie für den Leiter der Entwicklungsabteilung. Dies gilt umso mehr, als der Vorstand der Beklagten nicht nur mit Juristen und Betriebswirten, sondern auch mit Ingenieuren bis hin zum damaligen Vorstandsvorsitzenden besetzt war. Ausweislich der öffentlichen Geschäftsberichte der Beklagten aus den Jahren 2010 bis 2014 war der damalige Vorstandsvorsitzende Winterkorn zugleich für die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten der Beklagten verantwortlich. Eine Unkenntnis des Vorstandes könnte sich der Senat nur mit einem bewussten Verschließen der Augen vor den Realitäten erklären, was im subjektiven Unwertgehalt des § 826 BGB der positiven Kenntnis gleichzusetzen wäre.
67Die Beklagte trifft allerdings insoweit auch eine sekundäre Darlegungslast, der sie nicht genügt hat. Der Senat muss die Frage der tatsächlichen Kenntnis also gar nicht abschließend entscheiden. Es besteht eine Vermutung für die Kenntnis des Vorstands, die sich aus den Indizien für eine Kenntnis speist. Die strategische und wirtschaftliche Bedeutung der Frage nach der Einhaltung der Abgaswerte gekoppelt mit der Zahl der betroffenen Fahrzeuge und der mangelnden Transparenz sind hier ebenso führend wie der Umstand, dass die Vorstandsmitglieder nicht nur fachlich in der Lage waren die Problemlage zu erfassen und die Lösungswege zu erkennen, sondern dies auch in deren Zuständigkeit fiel. Die Beklagte hätte diese Vermutung im Wege der sekundären Darlegung entkräften können. Dies ist ihr jedoch nicht gelungen. Grundsätzlich muss zwar die Klägerin alle Tatsachen behaupten und beweisen, aus denen sich sein Anspruch herleitet. In bestimmten Fällen ist es aber Sache der Gegenpartei, sich im Rahmen der ihr nach § 138 Abs. 2 ZPO obliegenden Erklärungspflicht zu den Behauptungen der beweispflichtigen Partei substantiiert zu äußern. Eine solche sekundäre Darlegungslast, die die Verteilung der Beweislast unberührt lässt, setzt voraus, dass die nähere Darlegung dem Behauptenden nicht möglich oder nicht zumutbar ist, während der Bestreitende alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm zumutbar ist, nähere Angaben zu machen (BGH NJW-RR 2015, 1279, 1280 m.w.N.). So liegt der Fall hier.
68Die Klägerin hat unter Auswertung und Darlegung der ihr zugänglichen öffentlichen Quellen dargelegt, woraus sie ihren Vortrag, Vorstandsmitglieder der Beklagten hätten von der Verwendung der Software gewusst, herleitet. Demgegenüber zieht sich die Beklagte auf den Standpunkt zurück, nach dem derzeitigen Sachstand sei von Unkenntnis auszugehen; dies obwohl es sich um Vorgänge handelt, die in ihre eigene Unternehmensverantwortung fallen. Dies zeigt, dass die Klägerin das ihr Mögliche vorgetragen hat. Demgegenüber ist es der Beklagten zumutbar, nähere Angaben zu machen. Ihr Vortrag impliziert, die Entscheidung über die Verwendung der Software sei von Mitarbeitern unterhalb der Vorstandsebene, mithin auf nachgeordneten Arbeitsebenen getroffen worden. Damit macht sie deutlich, diesbezügliche Kenntnisse zu haben, da sie anderenfalls einen entsprechenden Vortrag nicht hätte halten könnten. Wenn sie aber weiß und auch wissen muss, wer unterhalb der Vorstandsebene wann welche Kenntnis gehabt hat, ist es ihr auch möglich nachzuvollziehen, ob entsprechende Kenntnis an den Vorstand weitergegeben wurde oder nicht. So oder so muss eine entsprechende Entscheidung von jemandem getroffen worden sein. Warum es ihr nicht möglich sein soll, dies in Erfahrung zu bringen und vorzutragen, ist nicht plausibel. Die Beklagte hat nach ihren öffentlichen Bekundungen eigene Untersuchungen veranlasst. Zudem hat sie sich unterschiedlichen staatsanwaltschaftlichen und behördlichen Untersuchungen ausgesetzt gesehen. Obwohl mithin mehrere Erkenntnisquellen zur Verfügung standen, hat sie – trotz des Ablaufs mehrerer Jahre – nichts zu den hieraus gewonnenen Erkenntnissen mitgeteilt und dies auch nicht nachgeholt.
69Der Beklagten – und allein ihr – ist es möglich die Entscheidungsprozesse, die zur Verwendung der Software geführt haben, darzulegen. Insoweit ist auch nicht nachvollziehbar – und von ihr auch nicht dargelegt -, dass ihr dies trotz des Ablaufs von mehreren Jahren nicht möglich gewesen sein soll. Es fehlt mithin an dem erforderlichen substantiierten Vortrag zur (Nicht-)Kenntnis der Vorstandsmitglieder durch die Beklagte. Auch nach Anklageerhebung gegen den früheren Vorstandsvorsitzenden hat die Beklagte keine weitergehenden Erklärungen abgegeben. Sie hat nicht erläutert, welche Erkenntnisse zu den Entscheidungsstrukturen sich hieraus ergeben und inwieweit diese Erkenntnisse unstreitig gestellt werden können oder – aus welchen Gründen – in Zweifel zu ziehen sind.
70Ungeachtet dessen ließe es eine Haftung der Beklagten nicht entfallen, wenn es der Beklagten gelungen wäre nachzuweisen, dass die Entscheidung zu dem Vorgehen allein auf der nachgeordneten Arbeitsebene gefallen wäre. In diesem Fall würde sich nämlich die Frage stellen, warum es der Beklagten nicht gelungen ist, den Gesamtbereich ihrer Tätigkeit so zu organisieren, dass für alle wichtigen Aufgabengebiete ein verfassungsmäßiger, organschaftlicher Vertreter zuständig ist, der die wesentlichen Entscheidungen selbst trifft. Überlässt ein Unternehmen wie die Beklagte es Mitarbeitern, die für die Zulassung von Fahrzeugen essentiellen Voraussetzungen für den Erhalt von Typengenehmigungen zu schaffen, ohne dass den Mitarbeitern durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, kann sie sich nicht von ihrer Haftung für deren Handeln freizeichnen. Dann nimmt sie es jedenfalls bedingt vorsätzlich in Kauf, dass dort Entscheidungen von haftungsrechtlicher Relevanz getroffen werden, die aufgrund mangelhafter Organisation zu ihren Lasten gehen. Anderenfalls könnte die Beklagte Manipulationen Tür und Tor öffnen, indem sie bewusst Verantwortungslücken ent- bzw. bestehen lässt.
71Insoweit begründet nach der Auffassung des Senates auch das bewusste Organisieren des Nichtwissens eine Zurechnung im Sinne des § 31 BGB. Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass es eine solche lückenhafte Organisation gab. Sie hätte dann nämlich darlegen müssen, in welcher Art und Weise sie sicherstellt, dass solche wesentlichen Unternehmensentscheidungen bis auf die Ebene des Vorstandes getragen werden, warum dies im konkreten Fall nicht geschehen ist und welche weiteren Qualitätssicherungsmaßnahmen aus welchen Gründen ebenfalls versagt haben, d.h. welchen Mitarbeitern welche Pflichtverstöße vorzuwerfen sind.
e) Schaden
72Die Klägerin hat auch einen Schaden erlitten. Der Schaden liegt in dem Erwerb eines mit der Steuerungssoftware ausgerüsteten Fahrzeugs (vgl. auch OLG Köln, Beschluss vom 3. Januar 2019 – 18 U 70/18 -, juris).
73§ 826 BGB erfasst auch reine Vermögensschäden, da er nicht auf die Verletzung bestimmter absoluter Rechtsgüter wie § 823 Abs. 1 BGB abzielt. Unter einem Schaden im Sinne des § 826 BGB ist allerdings auch nicht nur die negative Einwirkung auf die Vermögenslage zu verstehen, sondern die nachteilige Beeinträchtigung jedes rechtlich anerkannten Interesses. Der Schaden kann deshalb auch in der Eingehung einer „ungewollten“ Verbindlichkeit bestehen, selbst wenn dieser einer Forderung auf eine objektiv gleichwertige Gegenleistung gegenübersteht (BGH ZIP 2004, 1593; BGH, Urteil vom 28. Oktober 2014 – VI ZR 15/14 -, Rz. 19, – juris; OLG Karlsruhe, a.a.O., Rn. 17 f). Dies ist der Fall, wenn die Leistung für die Zwecke des Erwerbers nicht brauchbar ist (BGH, Urteil vom 26. September 1997 – V ZR 29/96 -, juris; BGH, VersR 2005, 418). Nach Ansicht des Senates ist es für die Annahme eines Schadens nicht erforderlich, dass im Rahmen einer Mehrzahl verfolgter Zwecke keiner der Zwecke erreicht wurde. Vielmehr genügt es, dass ein nicht völlig nebensächlicher Zweck nicht erreicht wurde. Es kommt also im Ergebnis nicht zwingend auf einen geringeren Marktwert oder sonstige unmittelbaren wirtschaftlichen Nachteile an, wenngleich auch diese nach der Auffassung des Senates zu verzeichnen sind. Neben etwaigen wirtschaftlichen Nachteilen sind auch die enttäuschte Erwartung und die Zweckverfehlung als Schaden anzusehen. Ausgehend hiervon liegt ein Schaden vor.
74Insoweit kann zunächst auf den Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 8. Januar 2019 (VIII ZR 225/17) verwiesen werden. Aufgrund der rechtswidrig verbauten Abgasabschalteinrichtung drohte die Stilllegung des Fahrzeuges, was für sich genommen schon als Schaden zu betrachten ist. Damit ist die Nutzwerterwartung enttäuscht. Diese wird auch nicht durch eine nachträgliche Maßnahme – das Angebot eines Software-Updates – wieder erfüllt. Der Schaden ist einmal eingetreten. Mag im Kauf- und Gewährleistungsrecht der Kunde auf eine Nachbesserung verwiesen werden, fehlt es an dieser Option für das Recht der unerlaubten Handlung. Die Frage des Software-Updates ist eine solche der Schadensbeseitigung, nicht aber der Schadensbegründung.
75Die Klägerin hat ein Fahrzeug erworbenen, das zwar primär ihrem Erfordernis, am Straßenverkehr teilzunehmen, genügt. Es hat mithin den gewollten Nutzwert im engeren Sinne. Es verfügte aber über eine Einrichtung, bei deren Bekanntwerden die Typengenehmigung für das Fahrzeug nicht erteilt worden wäre. Aufgrund der Einrichtung unterlag es einer Rückrufaktion. Ohne Durchführung weiterer Maßnahmen – nämlich eines Software-Updates – drohte, was unstreitig ist, eine Betriebsuntersagung. Zweck des Erwerbs war aber die uneingeschränkte Teilnahme am Straßenverkehr, ohne dass durch weitere Maßnahmen eine drohende Betriebsuntersagung abzuwehren gewesen wäre. Der Nutzwert ist also eingeschränkt. Dies gilt auch für die weiteren verfolgten Zwecke wie das Bestreben einen individuellen Beitrag zum kollektiven Umweltschutz zu leisten.
76Der Senat sieht einen Schaden nicht allein in der Auswirkung für die Umwelt, sondern maßgeblich auch in dem Umstand, dass dem Käufer des Fahrzeugs im Zeitpunkt des Erwerbs die Stilllegung des Fahrzeugs drohte. Vor dem Hintergrund dieses Risikos kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass sich Käufer auch in Kenntnis der Steuerungssoftware für ein solches Fahrzeug entschieden hätten und es sich bei dem Einbau der Software nicht um einen Umstand von derart elementarer Bedeutung handele, dass er den Eintritt des Kaufvertragszwecks vereitelt hätte. Die drohende Stilllegung war genau solch ein Umstand.
77Maßgeblich ist, dass die Klägerin ein für die Nutzung im Straßenverkehr bestimmtes Fahrzeug erworben hat, das hinsichtlich der Frage der Typengenehmigung und der Betriebszulassung mit erheblichen rechtlichen Unsicherheiten belegt war, was sich zwangsläufig auch auf den Wert des Fahrzeugs auswirkt, da die Nachfrage nach solchen Fahrzeugen gegenüber vergleichbaren Fahrzeugen, die nicht mit diesem Mangel behaftet sind, geringer ausfällt. Auch aus diesem Grund vermag sich der Senat dem OLG Braunschweig nicht anzuschließen, das in der drohenden Betriebsuntersagung keinen wertbildenden Faktor sieht (Urteil vom 19. Februar 2019, – 7 U 134/17 -, Rn. 171, juris). Der Senat erachtet dies als lebensfremd und durch offenkundige Tatsachen widerlegt. Ungeachtet der von den Beklagten angeführten Untersuchungen zeigen andere zu recherchierende Untersuchungen, sogar das „Dieselbarometer“ des Branchenverbandes Deutsche Automobil Treuhand (www.dat.de), einen Wertverfall der betroffenen Dieselfahrzeuge der Beklagten.
78Letztlich liegt ein Schaden in Form der ungewollten Eingehung einer Verbindlichkeit vor. Neben der Frage der drohenden Stilllegung hat die Klägerin für den Senat nachvollziehbar dargelegt, dass für sie auch die Umweltstandards des Fahrzeugs ein ausschlaggebender Punkt im Rahmen der Kaufentscheidung waren. Insoweit ist die Klägerin auch bei der Kaufentscheidung aufgrund der verschwiegenen unzulässigen Abschalteinrichtung eine von ihm so nicht gewollte Verbindlichkeit eingegangen. Das Fahrzeug hat damit letztlich nicht ihren Erwartungen entsprochen und war für einen weiteren von mehreren denkbaren Zwecken – einen individuellen Beitrag zum Umweltschutz zu leisten – nicht geeignet. Auch das begründet einen Schaden.
79Die Beklagte hat der Klägerin den Schaden auch vorsätzlich zugefügt. Sie hat zumindest für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen, dass die Abschalteinrichtung im Falle ihres Entdeckens Auswirkungen auf die Betriebserlaubnis des Fahrzeugs haben würde und Erwartungen des Fahrzeugeigentümers enttäuscht werden. Dies folgt zwangsläufig aus der Verwendung der Software. Anderenfalls ist ihr heimliches Vorgehen nicht erklärlich. Damit war für sie vorhersehbar, dass es zu einer Stilllegung des Fahrzeugs kommen kann.
f) Kausalität
80Für die Annahme eines Zusammenhangs zwischen Täuschung und Abgabe der Willenserklärung genügt es, dass der Getäuschte Umstände dargetan hat, die für seinen Entschluss von Bedeutung sein konnten, und dass die arglistige Täuschung nach der Lebenserfahrung bei der Art des zu beurteilenden Rechtsgeschäfts Einfluss auf die Entschließung hat (BGH, Urteil vom 12. Mai 1995 – V ZR 34/94 -, juris). Der getäuschte Käufer darf keine Kenntnis von den maßgeblichen Tatsachen haben und seine Verfügung – der Abschluss des Kaufvertrages – muss auf dieser Unkenntnis beruhen. Es muss ein auf der Täuschung beruhender Irrtum vorliegen. Diese Voraussetzungen liegen zur Überzeugung des Senates vor. Da es sich um innere Tatsachen handelt kann der Nachweis nur auf der Grundlage von Indizien geführt werden, die hinreichend und nachvollziehbar dargelegt sind.
81Nach der Lebenserfahrung und der Art des zu beurteilenden Geschäftes ist auszuschließen, dass ein Käufer ein Fahrzeug erwirbt, dem eine Betriebsuntersagung droht und bei dem im Zeitpunkt des Erwerbs in keiner Weise absehbar ist, ob dieses Problem überhaupt behoben werden kann. Dies gilt erst recht, wenn ihn der Hersteller oder der Verkäufer hierauf hinweisen würde. Diese Einwirkung auf die Entschließung der Klägerin als Käuferin genügt für den Kausalzusammenhang zwischen dem Irrtum und der Kaufentscheidung (BGH, Urteil vom 12. Mai 1995 – V ZR 34/94 -, juris). Daneben sind die Aspekte der Umweltverträglichkeit und mit einem erhöhten NOx-Ausstoß einhergehender Gesundheitsgefahren oder auch Nutzungseinschränkungen im Sinne einer uneingeschränkten Mobilität (Fahrverbote in Gegenwart und Zukunft) Argumente, die bei einem Kaufentschluss für ein Fahrzeug plausibel eine Rolle spielen und so Einfluss auf die Dispositionsfreiheit eines Kunden haben können.
82Dies gilt auch dann, wenn sich die Klägerin um diese Frage überhaupt keine bewussten Gedanken gemacht hat. Der Käufer unterstellt aufgrund der erteilten Typengenehmigung bestimmte Eigenschaften und setzt diese selbstverständlich voraus. Hätte die Beklagte das Fahrzeug weder in Verkehr gebracht noch die unzulässige Abgasabschalteinrichtung verschwiegen, wäre es zu einer reflektierten Entscheidung zu diesen Faktoren gekommen und – sachgerechtes Verhalten unterstellend – ein Kauf unterblieben.
g) Schutzzweck
83Der von der Klägerin geltend gemachte Schaden ist auch vom Schutzzweck des § 826 BGB umfasst. Für Ansprüche aus unerlaubten Handlungen gilt allgemein, dass die Ersatzpflicht auf solche Schäden beschränkt ist, die in den Schutzbereich des verletzten Ge- oder Verbots fallen (BGH, Urteil vom 11. November 1985 – II ZR 109/84 -, Rn. 15, juris,). Der Schaden der Klägerin liegt innerhalb des Schutzzwecks von § 826 BGB. Der Senat vermag sich nicht dem OLG Braunschweig anzuschließen, wonach im Zusammenhang mit dem Gefahrenbereich „Übereinstimmungsbescheinigung“ entstandene Schäden aus der Haftung des § 826 BGB auszunehmen seien, da der Schutzzweck der verletzten Normen keine individualschützende Wirkung habe (a.a.O., Rn. 188 i.V.m. Rn. 141 ff). Dies lässt außer Acht, dass das Vorgehen der Beklagten eben nicht nur Vorschriften verletzt hat, die Gemeinschaftsinteressen dienen, sondern ganz konkret dazu geführt hat, dass Tausende von Kunden Fahrzeuge erworben haben, die mit dem Risiko einer Betriebsuntersagung behaftet waren und die damit höchst individuell betroffen waren. Genau dies war auch das Ziel der Beklagten, die über das Inverkehrbringen der Fahrzeuge ihre Umsätze generiert. Auf die Betrachtung der weiter dargelegten Vertragserwartungen kommt es damit nicht mehr an.
h) Keine Schadensbeseitigung
84Der der Klägerin entstandene Schaden ist auch nicht durch die spätere Möglichkeit der Durchführung des Software-Updates entfallen. Unabhängig von der Frage, ob dieses im Hinblick auf seine höchst umstrittenen Folgen überhaupt geeignet ist, den Schaden zu beseitigen, kommt es auf dessen Wirkung nicht an. Maßgeblich für die Frage des Schadens ist der Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs. Der Schadenseintritt war zu diesem Zeitpunkt erfolgt. Dem Deliktsrecht ist eine Nacherfüllungsverpflichtung, wie sie das Kaufrecht vorsieht, fremd.
i) Negatives Interesse
85Der Ersatzanspruch richtet sich bei § 826 BGB auf das negative Interesse. Der Geschädigte ist so zu stellen, wie er ohne Eintritt des schädigenden Ereignisses stünde.
86Ohne die vorsätzliche sittenwidrige Schädigung – das Inverkehrbringen des manipulierten Fahrzeuges und das Verschweigen des Einbaus der Abgasabschalteinrichtung – hätte die Klägerin den Vertrag nicht geschlossen. In diesem Fall hätte sie das Fahrzeug nicht erhalten und den Kaufpreis nicht gezahlt. Die Beklagte hat der Klägerin daher den Kaufpreis zurückzuerstatten, grundsätzlich Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeuges.
87(1) Aufgrund der Feststellungen des Landgerichts ist von einem Kaufpreis in Höhe von 35.739,01 € auszugehen, von dem die Klägerin einen Teilbetrag in Höhe von 29.782,28 € klageweise geltend macht. Dieser Betrag war der Berechnung zugrunde zulegen, nachdem die Klägerin dies ausdrücklich beantragt hat. Das Vorgehen des Landgerichts, entgegen dem Antrag der Klägerin den vollen Kaufpreis zugrunde zu legen, verstößt gegen § 308 ZPO.
88(2) Der Klägerin ist aufgrund der erfolgten Weiterveräußerung eine Rückgabe des Fahrzeugs nicht möglich. Entsprechend dem Rechtsgedanken des § 346 Abs. 2 Nr. 2 ZPO hat sie daher für den veräußerten Gegenstand Wertersatz zu leisten. In nicht zu beanstandender Weise hat das Landgericht dafür den sich aus dem Gutachten des Kfz-Sachverständigen ergebenden Wiederbeschaffungswert von 14.000,- € in Ansatz gebracht. Anhaltspunkte für Zweifel an diesem Wert sind nicht ersichtlich.
89Da die Klägerin den Betrag ausdrücklich von dem klageweise geltend gemachten Betrag in Abzug bringt, richtet sich ihr Anspruch damit zunächst auf die Zahlung von 15.782,28 € (29.782,25 € – 14.000,- €).
90(3) Davon in Abzug zu bringen ist der von der Klägerin gezogene Nutzungsvorteil. Sie muss sich im Wege des Vorteilsausgleichs die von ihr gezogenen Nutzungen anrechnen lassen. Sie hat das Fahrzeug über einen mehrjährigen Zeitraum genutzt und auf diese Weise einen geldwerten Vorteil erlangt.
91Auch in Anbetracht einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung ist dies nicht unbillig, da die Klägerin das Fahrzeug tatsächlich genutzt hat und der Verweigerung des Vorteilsausgleiches keine kompensierende Wirkung zukommt.
92Dies führt nicht zu einer unbilligen Entlastung des Schädigers. Es ist nicht Aufgabe des Schadensrechts das Verhalten des Schädigers in einer über die faktische Rückabwicklung des Vertrages hinausgehenden Weise zu sanktionieren. Der von der Klägerin gezogene Nutzungsvorteil ist keiner, der ohne das schädigende Ereignis bei ihr verblieben wäre. Denn auch ohne das schädigende Ereignis hätte sie ein Kraftfahrzeug geführt und somit die daraus resultierenden Nutzungsvorteile für sich in Anspruch genommen. In diesem Punkt steht sie durch das Verhalten der Beklagten nicht schlechter da.
93Dem Anspruch auf Erstattung des Nutzungsvorteils stehen die Regelungen des Verbrauchsgüterkaufs nicht entgegen. Zwar erfolgt im vorliegenden Fall nicht die Rückabwicklung eines vertraglichen Schuldverhältnisses, sondern es besteht ein deliktsrechtlicher Anspruch. Der auf das negative Interesse gerichtete Schadensersatzanspruch hat aber die faktischen Wirkungen einer Rückabwicklung. Gem. § 475 Abs. 3 Satz 1 BGB ist beim Verbrauchsgüterkauf § 349 Abs. 5 BGB mit der Maßgabe anzuwenden, dass Nutzungen nicht herauszugeben oder durch ihren Wert zu ersetzen sind. Erfasst sind Fälle, in denen der Verkäufer zum Zwecke der Nacherfüllung eine mangelfreie Sache liefert und deshalb vom Käufer die Rückgewähr der mangelhaften Sache verlangen kann. Dieser Rechtsgedanke kann jedoch nicht auf den vorliegenden Fall übertragen werden. Dieser liegt parallel zum Rücktritt von einem Kaufvertrag, nicht zur Lieferung einer mangelfreien Sache. Den Fall des Rücktritts eines Käufers vom Kaufvertrag und mithin die Durchführung des Rückabwicklungsschuldverhältnisses erfasst diese Regelung jedoch nicht.
94Der Antrag der Klägerin ist entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht deshalb unzulässig, weil die Klägerin den Nutzungsersatzanspruch nicht beziffert bzw. nur unzureichend dazu vorgetragen hätte. Die Klägerin hat angegeben, dass sie einen Neuwagen gekauft hat sowie mit welcher Kilometerleistung sie das Fahrzeug weiterveräußert hat. Weiterhin hat sie dargelegt, aus welcher Gesamtlaufleistung ihrer Ansicht nach der Nutzungsersatz zu errechnen ist. Dies genügt, um sowohl das Landgericht als auch den Senat in die Lage zu versetzen, die aus der Nutzung resultierende Wertminderung zu ermitteln.
95Die zeitanteilige lineare Wertminderung ist im Vergleich zwischen tatsächlichem Gebrauch und voraussichtlicher Gesamtnutzungsdauer ausgehend vom Bruttokaufpreis im Wege der Schätzung gem. § 287 ZPO zu ermitteln (BGH NJW 1995, 2159). Dabei ist Anknüpfungspunkt der gezahlte Bruttokaufpreis, der den Nutzungswert des Fahrzeugs verkörpert. Die im Einzelfall unter gewöhnlichen Umständen zu erzielende Gesamtfahrleistung stellt den Gesamtgebrauchswert dar. Zu vergüten sind die Gebrauchsvorteile bis zur Rückgabe des Fahrzeugs (Reinking/Eggert, Der Autokauf, 13. Auflage 2017, Rn. 1186).
96Die erwartete Gesamtlaufleistung schätzt der Senat gem. § 287 BGB auf 300.000 km (vgl. Senat, Urteil vom 12. Juni 2019 – 5 U 1318/18 -, juris; LG Hildesheim, Urteil vom 17. Januar 2017 – 3 O 139/16 -, Rn. 73, juris für einen Skoda Yeti). Dabei war zu berücksichtigen, dass die Beklagte selbst eine hervorgehobene Qualität ihrer Fahrzeuge für sich in Anspruch nimmt, was sich auch in gegenüber vergleichbaren Fahrzeugen anderer Hersteller höheren Kaufpreisen wiederspiegelt. Weiterhin ist bei der Schätzung einzubeziehen, dass es sich um ein Fahrzeug mit dem Baujahr 2012 handelt, bei dem aufgrund fortschreitender technischer Entwicklung von einer höheren Haltbarkeit ausgegangen werden muss, als das bei älteren Fahrzeugen der Fall ist. Dabei kann auch nicht außer Acht gelassen werden, dass im heutigen Straßenbild eine Vielzahl von Fahrzeugen der Marke VW zu sehen sind, die ohne weiteres älter als zehn Jahre sind.
97Die Laufleistung zum Zeitpunkt der Weiterveräußerung betrug 86.272 km.
98Die abzuziehende Nutzungsentschädigung errechnet sich dann nach der Formel
Gebrauchsvorteil = | Bruttokaufpreis × gefahrene Kilometer |
erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt. |
99Der Bruttokaufpreis betrug 35.739,01 €. Die gefahrenen Kilometer belaufen sich auf 86.272 km. Die erwartete Restlaufleistung betrug 300.000 km im Erwerbszeitpunkt. Dies ergibt eine zu berücksichtigende Nutzungsentschädigung von 10.277,59 €.
100Es verbleibt mithin ein von der Beklagten zu erstattender Betrag in Höhe 5.504,69 € (15.782,28 € – 10.277,59 €). Eine abweichende Berechnungsart ist durch die eingeschränkte Form des Klageantrags verschlossen.
101Der Zinsausspruch folgt aus §§ 288 Abs. 1, 291 BGB. Der Senat macht sich die entsprechenden Ausführungen des Landgerichts zu Eigen.
1022. Der Klägerin steht auch ein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten nach § 826 BGB zu. Ihr Schadensersatzanspruch ist jedoch gegenüber dem vom Landgericht ausgeurteilten Betrag geringfügig zu reduzieren.
103Allerdings vermag der Senat keine Gründe für ein Überschreiten der Schwellengebühr nach der Anm. zu Nr. 2300 VV RVG zu sehen. Die Sache ist weder mit besonderen Schwierigkeiten versehen oder – trotz der umfangreichen Schriftsätze – besonders umfangreich. Wie dem Senat aus einer Vielzahl von Parallelverfahren bekannt ist, vertreten die Bevollmächtigten der Klägerin eine Vielzahl von Klägern. In allen Verfahren werden nahezu wortgleiche Ausführungen zur Haftung der Beklagten gemacht.
104Der Senat sieht deshalb nur eine 1,3-Geschäftsgebühr als notwendig und damit erstattungsfähig an.
105Jedoch sind die Gebühren aus einem Streitwert von 11.101,42 € zu berechnen. Insoweit sind von den von der Klägerin im Schreiben vom 7. Juni 2017 (Bl. 63 ff GA) geltend gemachten 35.379,01 € sowohl die Nutzungsentschädigung als auch der Wertersatz in Abzug zu bringen.
106Die Klägerin kann nicht damit durchdringen, ein Abzug des Wiederbeschaffungswertes habe nicht vorgenommen werden dürfen. Die Klägervertreter sind mit Schreiben vom 7. Juni 2017 tätig geworden. Zu diesem Zeitpunkt lag jedoch die Begutachtung des Kfz-Sachverständigen vom 19. August 2016, die einen Wiederbeschaffungswert von 14.000,- € aufwies, bereits vor (Anlage R 39).
107Streitwerterhöhend waren, entgegen der Auffassung der Klägerin, bei der Berechnung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren auch weder drohende Steuernachzahlungen noch Regressansprüche von Zweitkäufern zu berücksichtigen, nachdem diese nicht Gegenstand des vorgerichtlichen Schreibens waren.
108Nachdem die Klägerin ihren Antrag im Berufungsverfahren von einem Zahlungsantrag auf einen Freistellungsantrag eingeschränkt hat, war entsprechend zu erkennen.
1093. Die Klage unterliegt der Abweisung, soweit die Klägerin die Zahlung von Zinsen gem. § 849 BGB für die Zeit ab Zahlung des Kaufpreises geltend macht. Zweck des § 849 BGB ist eine Kompensation für einen Verlust an Nutzbarkeit einer Sache (vgl. Eichelberger in: beck-online.GROSSKOMMENTAR GesamtHrsg: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann Hrsg: Spickhoff Stand: 01. August 2019, Rn. 2). Grundsätzlich ist § 849 BGB auch auf die Überweisung von Geld anwendbar. Der Vorschrift § 849 lässt sich jedoch kein allgemeines Prinzip entnehmen, dass sämtliche Ansprüche aus unerlaubter Handlung stets und unabhängig vom Vorliegen des Verzugs vom Zeitpunkt ihrer Entstehung an zu verzinsen seien (a.a.O. Rn. 5, Riehm, Deliktischer Schadensersatz in den „Diesel-Abgas-Fällen“, NJW 2019, 1105 ff). Das deliktische Handeln der Beklagten hat bei der Klägerin nicht zu einem nur dadurch bedingten Verlust der Nutzungsmöglichkeit des Geldes geführt. Zum einen ist hier zu berücksichtigen, dass das erworbene Fahrzeug für die Klägerin einen Gegenwert dargestellt hat, aus dem sie die von ihr beabsichtigten Nutzungen gezogen hat. Der Kaufpreis wurde ihr mithin nicht ersatzlos entzogen. Zum anderen hätte die Klägerin in Kenntnis der Software nicht davon abgesehen, überhaupt ein Fahrzeug zu kaufen. Sie selbst hat dargelegt, dass sie aufgrund Ihrer Schwerbehinderung dringend auf die Verwendung eines PKW angewiesen war (Bl. 192 RS). Sie hätte das Geld somit in den Kauf eines anderen Fahrzeugs investiert, so dass keine auf das deliktische Handeln der Beklagten zurückzuführende entgangene Nutzungsmöglichkeit vorlag.
1104. Zu Recht hat das Landgericht den Feststellungsanspruch der Klägerin aufgrund mangelnden Feststellungsinteresses gem. § 256 ZPO als nicht zulässig angesehen. Die Klägerin hat den entsprechenden Feststellunganspruch geltend gemacht, ohne erstinstanzlich darzulegen, woraus sie ihr Feststellungsinteresse herleitet. Im Hinblick auf die bereits im Jahr 2016 erfolgte Weiterveräußerung des Fahrzeugs drängen sich nicht bezifferbare Zukunftsschäden nicht ohne weiteres auf. Erstmals mit der Berufungsbegründung verweist die Klägerin auf mögliche Steuerschäden und mögliche Regressansprüche von Zweitkäufern. Mit diesem Vorbringen ist sie indes gem. § 531 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen. Es ist nicht ersichtlich, warum ihr ein entsprechender Vortrag nicht bereits erstinstanzlich möglich gewesen wäre. Dies gilt umso mehr, als die Beklagte mit Schriftsatz vom 11. Juli 2018 ausdrücklich auf die Unzulässigkeit des entsprechenden Klageantrags hingewiesen hat (Bl. 294 Rs GA). Entsprechend kann sich die Klägerin auch nicht darauf berufen, die Klageabweisung sei unter Verstoß gegen § 139 ZPO überraschend erfolgt.
5. Nebenentscheidungen
111Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, 711 ZPO.
6. Streitwert
112Der Streitwert für das Berufungsverfahren war auf einen Betrag von 14.170,14 € festzusetzen. Der Streitwert des landgerichtlichen Verfahrens war auf einen Betrag in Höhe von 10.504,69 € abzuändern, § 63 Abs. 3 Nr. 2 GKG.
113Entgegen der Auffassung des Landgerichts durfte für den Streitwert nicht der geltend gemachte Zahlungsanspruch in Höhe von 29.782,28 € in Ansatz gebracht werden. Die Klägerin hat ausdrücklich die Berücksichtigung des Wertersatzes und der Nutzungsentschädigung beantragt. Diese waren daher von dem Zahlungantrag in Abzug zubringen, was einen Betrag in Höhe von 5.504,69 € ergibt (29.782,28 € – 14.000,- € – 10.277,59 €). Weiterhin war der Feststellungantrag zu berücksichtigen, den der Senat mit 5.000,- € bemisst. Maßgeblich ist insoweit grundsätzlich der objektive Streitwert bei Klageerhebung.
114Das Interesse der Klägerin am Berufungsverfahrens beläuft sich auf die Durchsetzung des Feststellungsantrags. Eine Erhöhung des Zahlungsanspruchs kam im Hinblick auf die insoweit erfolgte Antragstellung – unter Berücksichtigung des vom Landgerichts zugesprochenen Betrags – nicht in Betracht. Das Interesse der Beklagte beläuft sich auf die Beseitigung des vom Landgericht ausgeurteilten Zahlungsausspruchs.
7. Zulassung der Revision
115Die Revision wird zugelassen, weil die Sache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Streitfrage ist vom Bundesgerichtshof bisher nicht entschieden und wird von Oberlandesgerichten (vgl. OLG Braunschweig (Beschluss vom 19. Februar 2019, 7 U 134/17) einerseits und OLG Karlsruhe (Beschluss vom 5. März 2019, 13 U 142/18) bzw. OLG Köln (Beschluss vom 2. Januar 2019, 18 U 70/18) andererseits unterschiedlich beantwortet (vgl. zu den Anforderungen an die rechtsgrundsätzliche Bedeutung aktuell BGH vom 18. Oktober 2018 – V ZA 22/18 -, Rn. 6 – zitiert nach juris).